Digitalisierung im Gesundheitswesen: Die Daten lassen sich missbrauchen
Die elektronische Patientenakte ist wie ein alter Schokohase: gut gemeint, aber nicht undingt zuträglich für die Gesundheit.
K ürzlich fragte mich eine Klinikärztin, mit der ich mich zufällig darüber unterhielt, wie das eigentlich gehen soll mit der elektronischen Patientenakte (ePA): Sollte sie die Unterlagen selbst hochladen, so zwischen Früh-, Spät- und Nachtschicht? Oder die Patient:innen entsprechend kürzer behandeln, um Zeit zu haben für den neuen digitalen Zusatzjob?
Es waren ihre Gegenfragen auf meinen vorsichtigen Versuch anzumerken, dass die ePA, die nun bundesweit startet, vielleicht auch Vorteile haben könne, gerade für Menschen mit komplexen Krankheitsbildern. Und dieser Versuch war mir daher gleich entsetzlich peinlich. Denn ich hatte das Wichtigste nicht mitbedacht: die Realität. Denn vielleicht gibt es einen Grund, dass die Zahl der Menschen, die die ePA nutzen, bis zu diesem Jahr im einstelligen Prozentbereich lag. Schließlich hätte man sich in der Vergangenheit bewusst dafür entscheiden müssen und Vorteile sehen. Dass es diese geben wird, ist bislang nur eine Hoffnung. Die Krankenkassen hoffen darauf, Doppeluntersuchungen zu sparen, die Industrie freut sich auf haufenweise Forschungsdaten.
Dass nun, wo widersprechen muss, wer die ePA nicht haben will, die Nutzungszahlen hochgehen, ist logisch: Verkauft jemand abgelaufene Schokoladenosterhasen, bleiben sie Ladenhüter. Verschenkt jemand die Schokotierchen, werden die meisten doch zugreifen. Das Prinzip ist das gleiche wie bei der ePA: vielleicht gut gemeint, aber der eigenen Gesundheit nicht unbedingt zuträglich. Dagegen spricht zum Beispiel, dass auch im Gesundheitssystem Menschen Diskriminierung erfahren. Dass Schmerzen bei einem Patienten mit Psychotherapiegeschichte natürlich psychosomatisch sind, dass einer HIV-positiven Patientin die Behandlung verweigert wird, das ist Alltag.
Es gibt also genug Patient:innen, die ein Interesse daran haben, sehr genau zu steuern, welche:r Ärzt:in was über sie weiß. Das erlaubt die ePA aber nur ansatzweise. Dazu kommt: Es ist durchaus möglich, dass Unbefugte sich Zugang zu medizinischen Daten von Patient:innen verschaffen. Gerade wurde eine neue Lücke bekannt, angeblich soll sie bereits geschlossen sein.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Wie sich Gesundheitsdaten missbrauchen lassen, zeigt etwa ein Fall aus Finnland: Ein Angreifer hackte die Patientendatenbank eines Psychotherapieunternehmens und kopierte Diagnosen und Therapieprotokolle von 33.000 Menschen. Er erpresste das Unternehmen und, als das nicht zahlte, die Patient:innen – nur um zum Schluss doch die Daten zu veröffentlichen. Der Täter wurde verurteilt, aber der Schaden ist da.
Wer will, dass möglichst viele Menschen die ePA aus Überzeugung nutzen, braucht ein gutes Produkt: einfach, für alle bedienbar und zugänglich. Ein Produkt, das alle Menschen verwenden können, ohne befürchten zu müssen, dass ihre Daten in falsche Hände geraten. Ein Produkt, das merkbar Vorteile bringt – und nicht den Anschein macht, vor allem als Datensammelschatz für Wissenschaft und Industrie konzipiert zu sein. Schon klar, das ist viel verlangt. Aber es geht hier ja um Gesundheit. Oder etwa nicht?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
AfD gesichert rechtsextrem
Drei Wörter: AfD, Verbot, jetzt
Bundesverfassungsschutz zu AfD
Keine Partei wie jede andere
Blockade der Hilfslieferungen in Gaza
Israel hat jede rote Linie überschritten – und jetzt?
Verfassungsschutz
AfD ist gesichert rechtsextremistisch
Pläne der neuen Regierung
Mehr Überstunden bis ins hohe Alter
Umgang mit migrantischen Fachkräften
Verschenkte Expertisen