Digitalisierung an Schulen stockt: Tafel statt Tablet
Der Digitalpakt soll helfen, Schulen mit Laptops und schnellem Internet auszustatten. Von dem Geld kommt allerdings bisher kaum etwas an.
In der Realität werden wohl trotzdem noch Jahre vergehen, bis die Geräte tatsächlich bei „Lehrer Müller“ (und all seinen KollegInnen) ankommen. „Wir müssen erst einmal eine Grundversorgung aufbauen“, sagt Thomas Neuhaus, Sozialdezernent im nordrhein-westfälischen Remscheid. „Unsere Schulen brauchen Strom, WLAN und einen Breitbandanschluss.“ Strom? Neuhaus lacht. „Wenn Sie in eine 60er-Jahre-Wohnung ziehen, wundern Sie sich ja auch nicht, dass in jedem Raum nur eine Steckdose ist.“
Erschwerend hinzu kommt die personelle Situation. „Wir sind eine Großstadt mit 113.000 Einwohnern“, sagt Neuhaus, „aber wir haben nur eine Person, die sich um Förderanträge kümmert.“ Den Digitalpakt findet er hilfreich und gut, doch sei es unheimlich schwierig, Spezialisten für Medienentwicklung zu finden. Und: „Die Personalkosten sind im Digitalpakt nicht enthalten“, klagt Neuhaus. „Für eine Stadt mit 580 Millionen Euro Schulden ist das ein Problem.“
Dabei ist Remscheid längst nicht die einzige Stadt, in der es mit dem Digitalpakt nur langsam vorangeht. In Nordrhein-Westfalen stellten die Grünen kürzlich eine Kleine Anfrage an die Landesregierung. Wie aus der Antwort hervorgeht, haben die Kommunen bis zum 3. Juli nur 404.200 Euro abgerufen – von insgesamt 1 Milliarde Euro, die in Nordrhein-Westfalen zur Verfügung stehen.
Vorbild Bayern
Sigrid Beer, die bildungspolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion, hält das für ein Unding. „Wenn es in diesem Tempo weitergeht, werden mehrere Schülergenerationen ihre Laufbahn beendet haben, bis die Mittel komplett verausgabt sind“, schimpft die Landtagsabgeordnete. Die Ursache dafür sieht sie bei der schwarz-gelben Landesregierung. Die lasse die Kommunen mit den Anträgen weitgehend allein.
„Was wir brauchen, ist eine Taskforce, die personelle Kapazitäten zur Verfügung stellt“, so Beer. „Diese Leute müssen vor Ort sein, den Schulen direkt helfen. Da hilft keine anonyme Hotline.“
Als Positivbeispiel nennt Beer das CSU-geführte Bayern. Dort liefen die Prozesse wesentlich schneller. Eine aktuelle Übersicht, welche Bundesländer bereits wie viel abgerufen haben, gibt es laut Auskunft des Bundesbildungsministeriums allerdings bisher nicht; die Daten würden nur zweimal pro Jahr erhoben.
In Nordrhein-Westfalen halten sich die Kommunen derweil mit offener Kritik zurück. Für diesen Bericht wurden zehn zufällig ausgewählte NRW-Städte kontaktiert – mit der Frage, warum das Abrufen der Gelder so lange dauert. Die Hälfte antwortete gar nicht. Die anderen sprechen von „aufwendigen und relativ komplizierten Anträgen“ (Solingen), „personalintensiven Grundlagen-Ermittlungen“ (Münster) und „coronabedingten Kapazitäten“ (Essen). Die Sprecherin der Stadt Dortmund bringt es auf den Punkt: „Es ist nicht,nur' ein Antrag zu stellen, das Verfahren ist ein wenig langwieriger.“
Zweifelhafte Abkürzungen
Helmut Dedy, Geschäftsführer des Städtetags NRW, weist auf ein weiteres Problem hin: Zwar hält er das Geld, das durch den Digitalpakt bereitsteht, für „enorm wichtig“, um Laptops, Tablets und schnelles Internet in die Klassenzimmer zu bringen. „Woran es aber fehlt, ist eine klare Digitalisierungsstrategie des Landes für das Lehren und Lernen in den Schulen“, so Dedy. Er fordert einheitliche Vorgaben, was pädagogische und technische Standards angeht.
Und dann wäre da noch die langfristige Finanzierung. „Es reicht nicht, die Schulen technisch aufzurüsten und neue Rechner anzuschaffen“, sagt Dedy. Laufenden Kosten, technischer Support und die Beschaffung von Ersatzgeräten müssten durch eine Vereinbarung zwischen Land und Kommunen ebenfalls sichergestellt werden. Im Digitalpakt ist davon noch nichts zu lesen.
Unterdessen wählen manche Schulen eine Abkürzung, um schneller an eine bessere Ausstattung zu kommen. Weil staatliche Gelder nur langsam fließen, schrecken sie auch vor einer Zusammenarbeit mit kommerziellen Anbietern nicht zurück. Beispiel Solingen: Hier nutzt ein städtisches Gymnasium die Software „Google Classroom“, wie der IT-Riese in einer Werbebroschüre verkündet. Darin schwärmt eine Lehrerin, sie habe ihre Schüler „online zum Abitur geführt“.
Dass dies bei einem Konzern, der mit dem Sammeln persönlicher Daten sein Geld verdient, durchaus problematisch sein könnte, dürfte wohl auch der Schule klar sein. Man habe die Namen aller Schüler anonymisiert, heißt es dann auch vorsorglich in dem PR-Text. Ob das reicht, sei einmal dahingestellt. In einem Punkt ist das Solinger Gymnasium anderen Schulen aber definitiv voraus: Die digitale Technik ist schon da – und nicht nur das Konzept.
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