Digitalisierter Unterricht in Hamburg: Smartphones werden Lehrmittel
Hamburg startet eine digitale Lernplattform, für deren Nutzung Schüler ab 10 Jahren Smartphones einsetzen sollen. Manche Eltern sind damit gar nicht glücklich.
Die Smartphone-Frage wird in vielen Familien heiß diskutiert. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) schlug da vergangene Woche einen Pflock ein. Er stellte eine Lernplattform namens Digital.learning.lab vor, die nach den Sommerferien allen Hamburger Lehrern zur Verfügung steht. Zunächst 60, später mal 180 „Bausteine“ für digitalen Unterricht in allen Fächern soll es geben – für die Jahrgänge fünf bis 13, also auch schon für zehnjährige Kinder wie Felicia.
Perspektivisch, sagte Rabe, werde digitales Lernen auch in der Grundschule eingeführt. Es sei nicht geplant, dort „nur Holzspielzeug zuzulassen“. Nun müsste bald mal das Geld von Digitalpakt des Bundes kommen, mahnte der Senator, denn ein Hindernis sei noch, dass nicht jede Klasse WLAN-Zugang hat.
Die Endgeräte-Frage selber jedoch wird in Hamburg einfacher gelöst. Die Schüler bringen ihre eigenen Geräte mit. „Bring your own Device“ (Byod) heißt das Prinzip, das bereits von Sommer 2014 bis 2016 an sechs Hamburger Schulen mit rund 2.000 Schülern getestet wurde. Der Versuch habe gezeigt, dass „jeder Schüler ohnehin ein Smartphone dabei hat“, sagte Rabe am Montag bei der Vorstellung der Plattform. Die Schulen hätten Geld gehabt, um Geräte anzuschaffen. Das werde auch künftig so sein. Doch dieses Geld sei „liegen geblieben“. Die Hardware sei also nicht das Problem.
Eine im November 2016 unter Leitung des Medienwissenschaftlers Rudolf Kammerl von der Uni Erlangen-Nürnberg fertiggestellte Studie kam zu dem Befund, dass 90 Prozent der Schüler ein Smartphone besaßen und fast die Hälfte ein eigenes Tablet. Und die Geräte der Schüler an den Stadtteilschulen waren im Schnitt neuer als die der Gymnasiasten.
Peter Widlok, Beratungsstelle Klicksafe
Doch diese Studie „sät eher Zweifel“, kommentiert die Schulpolitikerin Sabine Boeddingshaus (Die Linke) Rabes Vorstoß. „Es gibt keine Empirie, dass es in eine positive Richtung geht.“
In der Tat hat Kammerl den starken Einsatz von Smartphones kritisiert. Die seien zwar stark in der Lebenswelt der Schüler verankert, doch wegen des kleinen Displays für das Lesen und Schreiben längerer Texte sowie aufgrund technischer Probleme fürs Öffnen vieler Dateien weniger geeignet.
Die Studie, für die der Medienwissenschaftler und sein Team rund 500 teilnehmende Schüler und eine fast ebenso große Kontrollgruppe befragten, kam auf weitere kritische Befunde. So hatten Schüler die Geräte für einfache Arbeiten wie Recherchieren benutzt. Doch ein kreativer oder innovativer Umgang mit den eigenen Geräten blieb aus.
Auch hatten die Schüler keine messbar höhere Lernmotivation gegenüber der Kontrollgruppe. Hinzu kommt, dass die Schüler, die teilnahmen, häufiger in ihrer Freizeit Online-Spiele spielten als die Vergleichsgruppe. Sie hatten auch seltener Konflikte mit ihren Eltern um Mediennutzung.
Positive Effekte nicht erfasst
Die Schulbehörde lässt sich von den Ergebnissen der Studie nicht irritieren. Laut Martin Brause, dem Leiter der Stabsstelle Digitalisierung in der Schulbehörde, kam die Evaluation zu früh, um die positiven Effekte zu erfassen. Inzwischen sei man dabei, mit einer Redaktionsgruppe von 30 Lehrern besagte Bausteine für den Unterricht zu entwickeln, die sich an den Bildungsplänen orientierten und auch Bezug nähmen auf den Kompetenzrahmen der Kultusministerkonferenz zur Bildung in einer digitalen Welt.
Wird es künftig für Eltern also gar keine Frage mehr sein, ob sie ihrem Kind schon zum Start der fünften Klasse so einen Minicomputer kaufen? Für den Schulversuch wurden alle Eltern um ihr Einverständnis gebeten, aus datenschutzrechtlichen Gründen. „Das wird aber künftig nicht mehr nötig sein, weil das Schulgesetz geändert wurde“, sagt Behördensprecher Peter Albrecht.
Martin Brause verweist auf die aktuelle Studie „Jugend, Information, Media“, kurz JIM, wonach 99 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen in ihrem Haushalt ein Smartphone haben. Allerdings ergibt eine vergleichbare Studie für Kinder (KIM-Studie), dass in der Altersgruppe sechs bis 13 nur die Hälfte ein eigenes Handy oder Smartphone hat. Auch der Schulversuch bezog sich auf Schüler der Klassen 6 aufwärts.
Amtsgericht hat Bedenken
Ab wann sind Smartphones sinnvoll? Peter Widlok von der Beratungsstelle Klicksafe sagt, eine Altersangabe könne er nicht geben, aber „mit dem stationären Computer zu Hause hatten Eltern eine gewisse Kontrollmöglichkeit. Mit dem Smartphone ist das völlig weg“.
Für die meisten sozialen Netzwerke gilt ein Mindestalter von 13 Jahren. Das Amtsgericht Bad Hersfeld hat sogar grundsätzliche Bedenken gegen die Nutzung von Messenger-Apps durch unter 16-Jährige formuliert. Eltern sollten danach sicherstellen, dass keine Zwangsvernetzung mit Telefonnummern auf dem Smartphone geschieht. Sie sollten alle drei Monate die Apps überprüfen und einmal im Monat Gespräche über die Nutzung führen.
Der stellvertretende Vorsitzende der Hamburger GEW Frederik Dehnerdt hat zu Byod eine klare Position: Die Schule müsse die Geräte und auch die Software stellen. Sonst gerieten die Lehrmittelfreiheit in Gefahr und Eltern unter Druck, ihren Kindern ein Smartphone zu schenken.
Felicia hat ihr Smartphone bisher noch nicht viel benutzt, erzählt ihre Mutter. Außer zum Spiele spielen, zuhause, mit der Freundin, auf dem Sofa.
*Name geändert
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