Digitales Gedenken an Holocaust: Jeder Name zählt
Das Arolsen-Archiv hat die größte Sammlung von Akten zu NS-Opfern. In dieser Woche sollen 27.000 digitalisiert werden. Jeder und jede kann mithelfen.
All dies steht auf einer penibel geführten „Häftlings-Personal-Karte“, die das Arolsen-Archiv jetzt auf seine Webseite gestellt hat. Von dem aus Ungarn offenbar erst nach Auschwitz und später nach Mauthausen deportierten Mann sind auch Körpergröße, Form von Mund, Nase und Körper, Augenfarbe und noch viel mehr festgehalten.
Wer jemals Einblick in die Akten der deutschen Konzentrationslager genommen hat, wird die dahinter liegenden Geschichten nicht mehr los. Die Akten bieten eine Chance, die Opfer nicht zu vergessen – wenn sie denn nicht in den Archiven verstauben.
Deshalb wurde jetzt in den Wochen um den 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945 zu einer Challenge aufgerufen. Sie heißt: #everynamecounts, jeder Name zählt.
Das Arolsen-Archiv verfügt über eine der größten Datenbanken mit Dokumenten zum Holocaust. Sie gilt als weltweit größte Sammlung mit Akten zu Opfern und Überlebenden. Fast alle der 30 Millionen Original-Dokumente sind nach Angaben des Archivs bereits online einsehbar – aber eingelesen werden müssen viele noch. Dafür gibt es das Projekt everynamecounts.
Hervorgegangen ist das Archiv aus einer Sammlung von Dokumenten über die Situation der Inhaftierten, Zwangsarbeiter und Flüchtlinge in Mitteleuropa, die die Allierten bereits bei ihrem Vormarsch auf Deutschland ab 1943 angelegt hatten. Seit 1946 hat das Archiv seinen Sitz in der hessischen Stadt Bad Arolsen, nach der es benannt wurde.
Eine Sammlung von 27.000 Häftlingspersonalkarten soll digitalisieren werden – die meisten davon aus dem KZ Auschwitz. Und jeder und jede kann dabei mithelfen.
Die Namen, die Daten und damit die Geschichten der Opfer stehen bisher nur auf den Akten. Die hat das Arolsen-Archiv bereits gescannt. Als Foto sind sie also vorhanden. Nun müssen sie auch gelesen und in Datenbanken übertragen werden.
Es ist eine Mammuaufgabe. Die NS-Verbrechen waren unermesslich. Und genau deshalb braucht es das Archiv und die Mithilfe von sehr vielen.
Das größte digitale Denkmal
#everynamecounts lädt dazu ein, am größten digitalen Denkmal für die Opfer und Überlebenden der Nazi-Zeit mitzuarbeiten. Die Crowdsourcing-Initiative macht es leicht, selbst ein Zeichen zu setzen und aktiv zu werden“, heißt es in einer Mitteilung des Archivs.
Die Eingabe der Daten erfolgt über ein leicht verständliches, intuitiv nutzbares Tool unter https://everynamecounts.arolsen-archives.org/. Mehr als 180.000 Freiwillige haben sich laut Arolsen-Archiv in den letzten Jahren bereits für #everynamecounts engagiert und mehr als 7 Millionen Dokumente digitalisiert.
Tatsächlich benötigen Mitwirkungswillige nur ein Smartphone oder einen Computer mit Internetzugang. Beim Aufrufen der Webseite bekommt man eine eingescannte Akte angezeigt. Deren Daten kann und soll man dann Stück für Stück in das Archiv übertragen. Alles, was man nicht findet oder nicht lesen kann, wird per Mausklick übersprungen.
Und wenn man mal einen Fehler macht? Das ist kein Problem. „Jedes Dokument wird zur Qualitätssicherung von drei verschiedenen Freiwilligen erfasst“, erklärt Anke Münster vom Arolsen Archiv. Sind die Eingaben nicht einheitlich, werde nochmal nachgeprüft.
Als Mithelfer:in ist man nach wenigen Minuten mit der ersten Akte durch. Die Akte von Jakub Bochanek zum Beispiel ist jetzt digitalisiert. Wer will, kann dann gleich das nächste Dokument angehen. Wer will, kann auch eigenen Account beim Arolsen-Archiv anlegen. Aber schon die Bearbeitung einer einzigen Akte hilft. Denn: Every name counts.
Mit ihrer Challenge hat das Arolsen Archiv offenbar einen Nerv getroffen. Schon jetzt haben sich „rund 60.000 Menschen beteiligt, davon knapp 30.000 Nutzerinnen und Nutzer, die zum ersten Mal dabei sind“, teilt Anke Münster mit. Aber es dürfen ja gern noch viel mehr mitmachen. Die Zahl 27.000 sei ja nur symbolisch für den 27. Januar gewählt, so Münster.
Digitalisierung ermöglicht den leichten Zugang
Denn diese Digitalisierung gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Denn wenn nun auch die letzten Überlebenden aufgrund ihres hohen Alters nach und nach sterben, bleiben nur noch diese Dokumente als Zeitzeugen. Wenn ihre Daten in leicht durchsuchbare Datenbanken eingelesen sind, werden sie auffindbar durch einfache Suche in den elektronischen Archiven. So haben schon viele Recherchen begonnen. Und sie bieten gerade auch den jüngeren, internetaffinen Generationen einen leichten Zugang zu dieser schweren Geschichte.
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