Digitalausschuss-Chefin über Telegram: „Wir werden Druck machen“
Grünen-Politikerin Tabea Rößner über den Umgang mit Hetze auf Telegram und die Pläne der Ampelkoalition im Bereich Digitalisierung.
taz: Frau Rößner, die Bundesregierung entdeckt Telegram als Hort der Demokratiefeinde und will nun dagegen vorgehen. Wie gefährlich ist Telegram?
Tabea Rößner: Der Messengerdienst als solcher ist nicht gefährlich. Aber er wird auch genutzt, um eine große Verbreitung von rechtswidrigen Inhalten zu erwirken. Das hat Auswirkungen auf den Meinungsbildungsprozess.
Muss der Gesetzgeber gegen den Messengerdienst vorgehen?
Bei Telegram geht es nicht mehr nur um eine 1-zu-1-Kommunikation, sondern der Dienst wird über seine öffentlichen Gruppen als Massenverbreitungsinstrument genutzt. Man muss daher prüfen, ob Messengerdienste wie Telegram damit unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz fallen. Darüber gab es in der Vergangenheit unterschiedliche Auffassungen. Ich denke, wenn ein Messengerdienst solche Reichweiten erzielt, unterliegt er natürlich den Pflichten des NetzDG.
Telegram ist ein Kommunikationskanal. Wie wollen Sie zwischen Alltagschat und strafrechtlich relevanten Inhalten filtern?
Telegram wird auch in der alltäglichen Kommunikation genutzt und nicht nur, um Hass und Hetze zu verbreiten. Aber: Die Verbreitung von Inhalten über öffentlich zugängliche Gruppen ist hier ein Thema. In erster Linie müssen die Strafverfolgungsbehörden aktiv werden, wenn strafrechtlich relevante Inhalte verbreitet werden. Wenn sich die Betreiber aber nicht für Bußgeldbescheide interessieren – wie hier bei Telegram mit Sitz in Dubai –, müssen auch andere Maßnahmen greifen. Zum Beispiel kann man die Betreiber von Smartphones verpflichten, solche Apps nicht anzubieten. Aber das darf nur das letzte Mittel sein. Wir wollen die Meinungsfreiheit nicht einschränken. Das ist ein schmaler Grat.
Es ist nicht das erste Mal, dass Telegram als Ort für kriminelle Machenschaften, für digitale Gewalt auffällt. Auch die Aufrufe von Rechtsextremen, von Querdenker:innen, von Terrorist:innen werden in offenen Gruppen verbreitet. Trotzdem scheinen Behörden und Entscheider:innen überrascht. Warum?
Die Regulierung solcher Dienste wurde bisher sehr kritisch gesehen. Das Netz ist ein öffentlicher Raum. Für diesen Raum gibt es Regeln. Bei aller Vorsicht vor Überregulierung: Die Anbieter solcher Plattformen müssen sich daran halten. Aber wir benötigen eine bessere technische und personelle Ausstattung der Sicherheitsbehörden. Sie brauchen die richtigen Instrumente, um gegen strafbare Inhalte vorzugehen. Und man muss den Druck auf nicht kooperierende Dienste insgesamt erhöhen.
Davon ist bisher wenig die Rede. Statt dessen wird auf EU-Richtlinien gehofft.
Wir brauchen auch Instrumente, um den europäischen Rechtsrahmen zu harmonisieren. Das passiert derzeit über neue Gesetze für digitale Märkte und digitale Dienste auf EU-Ebene. Aber es muss auch die Möglichkeit geben, dass nationale Gesetze umgesetzt werden. In Deutschland geht es dabei vor allem um Inhalte, die volksverhetzend sind.
Grünenpolitikerin, ist seit 2009 im Bundestag und nun die neue Vorsitzende des Digitalausschusses.
In der vergangenen Woche wurde eine der größten Sicherheitslücken bei einer Open-Source-Anwendung bekannt. Hat Sie das überrascht?
Nein. Es gibt wahnsinnig viele Angriffe derzeit unterschiedlichster Art. Dass es eine Open-Source-Anwendung betrifft, ist aber etwas Besonderes, da Schwachstellen durch den offenen Zugang in der Regel eher entdeckt und behoben werden.
Ist Open Source ein Risiko?
Alle Anwendungen bergen Risiken in sich. Viele Anwendungen, die nicht Open Source waren, wurden genauso gehackt. Bei Open Source arbeiten viele Menschen zusammen an Anwendungen. Sie werden gemeinsam entwickelt, Lücken werden entdeckt und sie können auch wieder schnell geschlossen werden. Das ist der Vorteil bei Open Source. Allerdings sind Sicherheitschecks und Qualitätskontrollen hier nicht institutionalisiert, das passiert meist in Eigenregie ohne große Ressourcen dahinter – von einigen Spendern mal abgesehen.
Und jetzt?
Die Sicherheitslücken müssen sobald wie möglich geschlossen und Daten gesichert werden. Zudem muss die 2-Faktor-Authentifizierung gestärkt werden. Leider müssen Nutzer:innen und Unternehmen immer noch darin bestärkt werden, sichere Passwörter zu verwenden. Dafür muss es ein stärkeres Bewusstsein geben.
Das ist doch seit Jahren die Forderung – und nur wenig ist passiert.
Die Digitalisierung bringt viele Vorteile. Aber sie muss auch sicher sein. Wir müssen Support, Updates, die Wartung von Geräten immer mitdenken. Das ist in der Vergangenheit zu wenig passiert. Und wir wollen Open Source stärken, um Entwicklung, Instandhaltung und Sicherheit dieser Anwendungen professioneller aufstellen.
Digitalisierung ist eines der wichtigsten Themen im Koalitionsvertrag. Themen und Fachbereiche sind zerfasert und nicht gebündelt. Blockiert das nicht die Umsetzung?
Digitalisierung ist eine Querschnittsaufgabe. Wenn nur ein Ministerium zuständig wäre, wäre das der falsche Weg. Alle Bereiche müssen sich fit machen. Die Verwaltung, der Gesundheitsbereich, die Behörden. Es geht um IT-Sicherheit, um Datenschutz, um technisch gute Anwendungen. Dafür gibt es jetzt ein besseres Verständnis. Das war in der alten Bundesregierung nicht der Fall.
Sie sind Vorsitzende des Digitalausschusses im Bundestag. Was steht ganz oben auf Ihrer Agenda?
Wir müssen den Ausbau der digitalen Infrastruktur schnell auf den Weg bringen. Wir brauchen Glasfaser in der Fläche und keine Zwischentechnologien. Das Geld dafür ist da. Problem sind die Antragsverfahren. Die müssen einfacher werden. Neben IT-Sicherheit steht für mich der digitale Verbraucherschutz, die Nachhaltigkeit von Zukunftstechnologien sowie die Sicherung eines freiheitlichen Meinungsbildungsprozesses auf der Agenda. Dass der neue Bundesdigitalminister Volker Wissing auch im Namen des Ministeriums die Digitalisierung vorne anstellt, ist ein gutes Zeichen. Im Ausschuss werden wir ihm Druck machen, dass die Pläne aus dem Koalitionsvertrag auch umgesetzt werden.
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