Dieselfahrverbot in Hamburg: Überm Grenzwert
Die Stresemannstraße in Hamburg ist die erste Straße in Deutschland, für die bald ein Fahrverbot gilt – mit Ausnahmen. Ist das Symbolpolitik?
Dennoch wird Hamburg die erste deutsche Stadt sein, die diese Konsequenz aus dem Diesel-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar zieht. Denn der im Sommer 2017 erstellte neue Luftreinhalteplan sah vor, im Fall der Fälle rund 580 Meter der Max-Brauer-Allee sowie einen etwa 1,6 Kilometer langen Abschnitt der Stresemannstraße mit „Durchfahrtsbeschränkungen“ zu versehen: für alle Dieselwagen bis Euro 5 auf der Allee, auf der Strese nur für LKWs bis Euro V.
Diese Maßnahmen durften damals nicht „Fahrverbote“ heißen, weil Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) versichert hatte, mit ihm werde es so was nicht geben. Die Bundesrichter sahen das im Februar anders, und Scholz ist seit März nicht mehr im Amt – so rasch können sich Sichtweisen und Etiketten ändern.
Beide Straßen sind hoch belastete Hauptverkehrsadern, die vom Bahnhof Altona ins Schanzenviertel und das dichtbesiedelte Eimsbüttel führen sowie von St. Pauli zur Elbtunnel-Autobahn in Bahrenfeld. Sie kreuzen sich unter der Sternbrücke, über die im Minutentakt ICEs, Regionalzüge und S-Bahnen brausen.
Es ist der unwirtlichste Ort Hamburgs und zugleich der giftigste. Seit Jahren liegen die Schadstoffwerte in der Luft an beiden dicht bebauten Verkehrsachsen über den EU-Grenzwerten. Bereits im November 2014 verurteilte das Verwaltungsgericht Hamburg die Stadt auf Klage eines Anwohners der Max-Brauer-Allee dazu, Gegenmaßnahmen einzuleiten – doch lange geschah nichts.
Werte unter den Grenzwert drücken
Nun sollen die Fahrverbote auf den beiden Trassen dafür sorgen, die hohen Stickstoffdioxid-Werte im Jahresdurchschnitt unter den EU-Grenzwert zu drücken. Für manche Autofahrer bedeutet das einen Umweg. Das aber wirft Fragen auf: Wenn man um die gesperrte Straße herumfahren kann oder muss, verlagert sich das Problem dann nicht nur? Wird es in den Nebenstraßen schmutziger, lauter und gefährlicher?
Umweltexperte Axel Friedrich, der den BUND, Nabu und die Deutsche Umwelthilfe berät, bevorzugt eine Verbotszone. „Das wäre fachlich korrekt, ist aber politisch schwieriger“, spricht Friedrich den entscheidenden Punkt an. Noch immer hoffen einflussreiche Politiker aus CDU, CSU, SPD und FDP, innerstädtische Fahrverbote verhindern zu können, noch immer befürchten Oberbürgermeister von Städten wie Kiel den Verkehrsinfarkt, wenn sie ihre Hauptschlagader – und um die geht es in der Regel – für den dieselbetriebenen Wirtschaftsverkehr sperren.
In Hamburg sollen für die gesperrten Abschnitte Umleitungen ausgeschildert werden: für die Max-Brauer-Allee über die Königstraße und Holstenstraße; für die Stresemannstraße über den Ring 2 zur Fruchtallee, zwischen Messegelände und Karoviertel hindurch und weiter auf dem Ring 1 via Lombardsbrücke und Hauptbahnhof zum Deichtortunnel. Ob und wie diese Vorschriften in der Praxis kontrolliert werden sollen, ist unklar. Auch eine 32-seitige Broschüre der Umweltbehörde zum Thema klammert diese Frage aus.
Klar ist jedoch, wer die gesperrten Straßen auch weiterhin mit eigentlich verbotenen Wagen befahren darf: AnwohnerInnen sowie deren Besucher, Kunden und Beschäftigte von ansässigen Geschäften, Büros, Praxen oder Kanzleien, außerdem Busse, Krankenwagen, Polizei und Feuerwehr, Post, Müllautos, Handwerker und Lieferanten.
Wer sich also im Internet ein kluges Buch über lebenswerte Innenstädte bestellt, kann es sich auch weiterhin von großen, braunen Dieselfahrzeugen bis vor die Haustür bringen lassen.
Alles über Deutschlands erste Straße mit Dieselfahrverbot lesen Sie in der gedruckten taz am Wochenende oder am E-Kiosk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance