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Die nächste Hartz-IV-Reform„Das letzte Wort hat der Gesetzgeber“

Schärfere Sanktionen, zeitlich begrenzte Zuschüsse für Selbstständige? Eine Kommission erarbeitet Vorschläge für eine Reform des Arbeitslosengelds II.

Noch ist nicht entschieden, was bei der Hartz-IV-Reform herauskommt Bild: dpa

BERLIN taz | Empfänger von Arbeitslosengeld II, dem sogenannten Hartz IV, müssen sich auf neue Regelungen einstellen. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat Vorschläge zur Reform des Sozialgesetzbuchs II erarbeitet. Allerdings besteht – anders als Bild am Mittwoch berichtete – noch kein Konsens über einige Vorstöße.

Fest steht: Die Hartz-Gesetze sollen vereinfacht werden. Im November 2012 hatten Sozial- und Arbeitsminister von Bund und Ländern deshalb eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Diese erarbeitet mit den kommunalen Spitzenverbänden und der Bundesagentur für Arbeit (BA) seit Juni 2013 Vorschläge.

Einige könnten das Leben von Hartz-IV-Beziehern und Jobcentermitarbeitern vereinfachen. So besteht in der Arbeitsgruppe etwa Konsens, dass die Sozialleistung künftig nur noch alle 12 Monate und nicht, wie bisher, alle 6 Monate neu beantragt werden muss. Auch soll das Jobcenter Beträge bis zu 50 Euro, die zu viel ausgezahlt wurden, nicht mehr zurückfordern.

Allerdings könnten bei der Reform auch deutliche Verschlechterungen für Hartz-IV-Empfänger herauskommen. „Wenn wir es einfacher machen wollen, wird es sicher auch wieder etwas ungerechter werden“, zitierte Bild BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt. So hat die BA vorgeschlagen, dass Selbstständige, die sich nur mit einem Zuschuss vom Amt über Wasser halten können, auf diesen künftig nur noch maximal zwei Jahre lang Anspruch haben sollen, statt unbegrenzt. „Nach zwei Jahren zeigt sich, wenn ein Geschäftsmodell nicht trägt“, sagte Ilona Mirtschin, eine Sprecherin der BA. Der Vorstoß ist jedoch nicht von allen Arbeitsgruppenmitgliedern abgenickt worden.

Die BA hatte auch ihre Mitarbeiter aufgefordert, Vorschläge zu machen. Herausgekommen ist ein 60-seitiges Dokument, aus dem die Bild-Zeitung einzelne Punkte so präsentiert, als sei sich die Bundesregierung über sie bereits einig. So hatten Mitarbeiter gefordert, erwachsenen Leistungsempfängern, die in 7 Wochen dreimal unentschuldigt einem Termin fernbleiben, die Gelder ganz zu streichen. Bisher wird in solchen Fällen der Hartz-IV-Satz um 10 Prozent gekürzt. Allerdings sind die Vorschläge der Mitarbeiter bisher nicht in die Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingespeist worden.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband ist gleichwohl dagegen, schärfere Sanktionen einzuführen. Dies sei „menschenfern“, sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Verbands. Vielmehr müsse man den Regelsatz von monatlich 391 Euro auf 464 Euro anheben. Katja Kipping, Vorsitzende der Linkspartei, kritisiert, dass an der Bund-Länder-AG keine Vertreter von Erwerbslosen-, Hartz-IV-Initiativen und Gewerkschaften beteiligt seien.

Aus dem Bundesarbeitsministerium (BMAS) hieß es am Mittwoch, die AG werde in diesem Jahr ihre Arbeit abschließen. Erst dann werde die Bundesregierung entscheiden, welche Vorschläge sie aufnehme. „Zurzeit gibt es noch keine Festlegungen. Das letzte Wort hat der Gesetzgeber“, sagt Christian Westhoff, stellvertretender BMAS-Sprecher.

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11 Kommentare

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  • @ PLEB,

    leider hab' ich den Artikel erst heute entdeckt.

    1000 Dank für das PDF.

    Es ist unglaublich, wie unser GG ausgehebelt wird - meines Erachtens ganz offensichtlich absichtlich und wissentlich.

    Der Bundesverfassungsrichter "an sich" ist ja nicht einfach blöd und unwissend . . . was geht da "Hintergrund" ab??

    Armselig dieses Land, einfach armselig.

    Was können wir Bürger tun?

    Wie müsste denn eine für Gerechtigkeit sorgende Klage aussehen?

  • Muss man nur Cannabis legalisieren mit staatlich kontrolliertem Anbau, schon wuerden Arbeitsplaetze entstehen.

  • "„'Nach zwei Jahren zeigt sich, wenn ein Geschäftsmodell nicht trägt', sagte Ilona Mirtschin, eine Sprecherin der BA."

     

    Ja, richtig. Und warum passiert dann selbst nach 10 Jahren HartzIV nix?

    Die BRD ist dank HartzIV nur noch in der Lage, sich entweder mit Billiglohn-Ländern wie China oder Pleite-Staaten wie den südeuropäischen zu vergleichen, wenn sie sich als "wirtschaftlich stark" darstellen will.

    Alle Staaten mit einer starken sozialen Absicherung wie Schweden, Norwegen, Niederlande, Dänemark etc. sind in der Produktivität pro Kopf wesentlich besser aufgestellt wie die BRD.

    Sollte es sich nicht allmählich zeigen, dass das Hartz-Konzept nix taugt, um die BRD auch im internationalen Vergleich wieder wettbewerbsfähig zu machen.

  • Einzelne Veränderungen an diesem Gesetz werden gar nichts bewirken, denn das Gesetz steht zu oft in Konkurrenz zum Grundgesetz. Nur weil jemand 'arbeitslos' oder 'hilfebedürftig' ist, dürfen seine elementaren Rechte nicht ausgehebelt oder aufgeweicht werden. Diese Problematik lässt sich bei diesem Gesetz nicht umgehen, zumal schon der erste Paragraph SGB II so viel Interpretationsspielraum bietet, dass es überrascht, dass nicht noch mehr Personen klagen.

     

    Mindestens Sanktionen haben in der Praxis eine extrem negative Wirkung auf die Vermittlungsfähigkeit von Klienten der Jobcenter. Wer übrigens eine Arbeit findet, der erhält vom Jobcenter sofort eine Rechnung, denn die verrechnen alle Ansprüche nach Maßgabe, die eigene Kasse maximal zu schonen. Das ist dann auch noch oft falsch und oft zu ungunsten ihrer Klienten.

     

    In Wirklichkeit erhalten sich doch viele Jobcenter ihre Klienten und am effektivsten sind dafür Sanktionen.

     

    Sanktionen bei Jugendlichen haben z.B. null Wirkung, sondern für zum gegenteiligen Effekt, werden aber immer noch angewendet. Kurz: Der Versuch ist vielleicht überfällig, hier Änderungen zu machen, aber die Wirkung wird sich nicht einstellen, kann sie auch gar nicht, dazu ist das Gesetz insgesamt zu schlecht formuliert. Wenn es 5-6 Mio. Arbeitssuchende gibt, kann man einem Arbeitslosen keine schnelle Vermittlung in eine Arbeit versprechen, man kann ihn auch nicht zwingen oder deswegen sanktionieren. Und Zwangsarbeit ist in Deutschland verboten.

  • A
    aurorua

    @ PLEB

    Betrachten Sie meinen Kommentar bitte im Kontext mit der Pet. Meine Intention ist nicht die Einen gegen die Anderen auszuspielen, bzw. Konkurrenz. Im Gegenteil durch das vorgeschlagene Konzept würde zumindest zwangsläufige Armutsrente für den Personenkreis der ALG II Empfänger (die dies i.d.R. völlig unverschuldet sind!) ausgeschlossen, denn für die werden keine Beiträge mehr in die gesetzliche RV abgeführt. Nehmen Sie sich einige Minuten Zeit und eruieren Sie den Link:

    https://www.openpetition.de/petition/online/buergerversicherung-altersversorgung-solidarisch-und-gerecht

  • A
    aurorua

    Einige (Veränderungen) könnten das Leben von Hartz-IV-Beziehern und Jobcentermitarbeitern vereinfachen.

    Und wer vereinfacht das Leben von Armutsrentnern oder Erwerbsminderungsrentnern, die genötigt sind bis zum Ableben in tiefster Armut auf "Hartz IV" Niveau dahin zu vegetieren. Aus ökonomischen Gründen ausgegrenzt und in die totale Vereinsamung gedrängt! Meist zu alt oder zu krank hinzu zu verdienen. die werden immer mehr und eiskalt vergessen von den zukünftigen Pensionären aus Beamtentum und Politik. Siehe unbedingt folgenden Link und wehrt Euch Bürger die da oben haben den sogenannten "kleinen Mann/Frau" doch längst vergessen.

    https://www.openpetition.de/petition/online/buergerversicherung-altersversorgung-solidarisch-und-gerecht

    • D
      D.J.
      @aurorua:

      "dahinvegetieren", "ausgegrenzt" usw.

       

      Komisch. Vor meinem Studium, während dessen und auch noch einige Jahre danach mit schlecht bezahlten halben Stellen hatte ich auch nicht mehr als Grundsicherungsniveau. Das war nicht so toll, doch wäre ich nie auf die absurde Idee gekommen, dies als "dahinvegetieren" zu bezeichnen.

      • @D.J.:

        Ja, so habe ich vor langer Zeit auch mal gedacht. Aber da ist ein Unterschied:

        Vor und während eines Studiums oder als Berufsanfänger hat man eine Perspektive. Z.B. die Perspektive einmal mehr Geld verdienen zu können als im Moment. Diese Perspektive ist ja für einen Rentner oder Erwerbsunfähigen nicht mehr vorhanden.

        Die Ungerechtigkeit diesbezüglich liegt imo darin, dass die Menschen, die nun in dieses Alter kommen bzw. die im Arbeitsleben ihre Gesundheit geopfert haben, viele, viele Jahre lang garantiert worden war, dass sie in einem sozialen Staat leben, der eine ausreichende Fürsorge für sie übernehmen kann. Dies ist spätestens seit den Hartz-Reformen Vergangenheit ohne dass eine gerechte Lösung für die Menschen gefunden wurde, die trotz guter sozialer Absicherung gearbeitet haben, bis sie dies nicht mehr konnten und nun mit den neuen Gesetzen, allen früheren garantierten Leistungen beraubt sind.

    • @aurorua:

      Super wenn sich die kleinen Leute soch selber Konkurrenz machen.

       

      Diese Kategorisierung ist ein Paradebeispiel von divide&conquer.

  • 8G
    8545 (Profil gelöscht)

    „Nach zwei Jahren zeigt sich, wenn ein Geschäftsmodell nicht trägt“, sagte Ilona Mirtschin, eine Sprecherin der BA.

     

    Natürlich nur bei Selbständigen,

    nicht bei Unternehmern, die aufstockende Arbeitssklaven anstellen.

     

    Auch weiterhin sollen Reiche Gewinne aus Unternehmen ziehen, wo Arme "Aufstocker" arbeiten.

     

    Selbstausbeutung soll eingeschränkt werden, zugunsten professioneller Ausbeuter...

  • Ich verabscheue diese Rechtsbeuger - und das ist zu milde ausgedrückt - aufs äußerste.

     

    Wer mal ernsthaft nachdenken will über dieses Thema, sollte sich die dezidierte Auseinandersetzung hier

    http://www.elo-forum.org/attachments/alg-ii/43504d1331565392-ehem-bgh-richter-neskovic-verfassungswidrigkeit-sanktionen-hartz-iv-neskovic_verfassungswidrigkeit_sanktionen_sgb_2__maerz_2012.pdf

     

    durchlesen und einsickern lassen.