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„Die drei Rätsel“ an der Deutschen OperEs rumpelt am Himmel und im Bauch

Die Deutsche Oper beginnt die Spielzeit mit einer Märchenoper. Kinder sind darin nicht nur die Helden, sondern spielen auch im Orchestergraben mit.

Mordlüstern ist der Hofstaat und freut sich auf eine neue Hinrichtung, hier haben sie Lassos Freund Galgenvogel in der Mangel Foto: Nancy Jesse

Schon das erste Bild verspricht: Es wird viel los sein in dieser Oper auf der Bühne. Erwachsene und Kinder drängeln sich zwischen Wänden aus Weinkisten in einer Kneipe. Das große Wort führt ein Junge, Lasso (Emil Vandersee), ein Schelm in gestreiften Hosen. Ein Dieb sei er, ein Falschspieler, und das Rathaus habe er auch angepinkelt, empören sich die Männer. Er aber gibt den Unbekümmerten und malt sich eine Karriere als Gauner, Trinker und Tagedieb aus.

So beginnt in der Deutschen Oper Berlin „Die drei Rätsel“. Kinder spielen nicht nur die Hauptrollen von zwei Heranwachsenden, dem armen Wirtshaussohn Lasso und der Prinzessin Scharada, die in einer schwer durchschaubaren Welt voller Boshaftigkeit, Eigennutz und Intrigen ihren Weg finden müssen.

Kinder und Jugendliche bilden auch einen Teil der Chöre und spielen mit Profis zusammen im Orchester. Ein ungewöhnliches Projekt, mit dem die Deutsche Oper in die Spielzeit startet.

Geschrieben hat der Komponist Detlev Glanert die Oper für eine Musikwerkstatt in Montepulciano, in Italien: mit dem direkten Ziel, Profis und Amateure, Kinder und Jugendliche in die Produktion einzubinden. Der Musik stellen sich damit verschiedene Herausforderungen, für Kinder spielbare Partien einzubeziehen, Dissonanzen und Atonalität mit Harmonien zu verbinden, kompliziertere Takt- und Rhythmuswechsel den erfahreneren Mu­si­ke­r:in­nen anzuvertrauen.

Und vor allem: Die Kinder im Orchestergraben dürfen sich nicht langweilen in den zwei Stunden der Aufführung, resümiert Glanert im Programmheft.

Libretto aus altem Märchen

Keine Langeweile, dafür sorgt auch das Libretto von Carlo Pasquini, das auf ein altes Märchen zurückgreift. Zum einen durch die häufigen Wechsel zwischen Dialogen, Arien, Duetten und Chören, zum anderen durch die lustigen Texte, die man mitlesen kann, wo das Hörverständnis nicht reicht.

Schimpfkanonaden und Wortkaskaden des Unsinns gehören da ebenso zu wie übertriebene Absurditäten und Grausamkeiten: Rattengift im Kuchen, den die Mutter ihrem Sohn Lasso mitgibt. Räuber, die ihn morden wollen, aber sich zuvor mit dem Fleisch des Wildschweins vergiften, das Lasso den Kuchen gestohlen hat. Da treibt die Musik die Schicksalsschläge voran, aus der lustigen Jagd wird Bitterkeit.

Hinter einem Vorhang aus Lichterketten singt ein Chor voller Mitgefühl mit dem Kind, das eben noch voller Eigenmächtigkeit und Tatendrang nun seine Verlassenheit beklagt. Dieser Chor schafft Momente des Innehaltens in der ansonsten rasanten Nummernoper.

Das Tolldreiste und eine Melancholie, die der Welt und den Menschen nicht viel Gutes zutraut, begegnen sich in den musikalischen Stimmungen immer wieder. Am Hof von Prinzessin Scharada herrscht die Intrige, um die alte Macht festzuhalten, die eine Heirat der Prinzessin gefährden könnte.

Unlösbare Rätsel

Jeder Bewerber um ihre Hand muss drei Rätsel mitbringen, und wenn sie sie lösen kann, dann wird er geköpft – ein Spektakel, das der ganze Hof liebt. Viele Köpfe baumeln schon vor der Schlossmauer, als Lasso dort ankommt. Er schafft die Sache mit den unlösbaren Rätseln, aber auch noch mehr: Scharada mit seinem Witz und seinem Mitgefühl aus dem Gefängnis der Gefühlskälte zu befreien, in das der Hof sie eingeschlossen hat.

Die Inszenierung der Regisseurin Brigitte Dethier und die Kostüme von Carolin Mittler charakterisieren die Figuren ratzfatz, da bleibt kein Zweifel. Das Kleid der Hofdame Knochen ist um die Knöchel so eng, dass sie nur mit Tippelschritten gehen kann, bedrohlich schwanken ihr Haarturm und ihre Sopranstimme (Alexandra Oomens) sticht wie ein Speer in die Luft.

Das Stück

„Die drei Rätsel“ von Detlev Glanert, Uraufführung am 12. Oktober 2003 am Opernhaus Halle, Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 11. Oktober 2025

Weitere Vorstellungen: 17. 10. um 11 und 18 Uhr, 19. 10. um 14 und 18 Uhr, und 2026 wieder

Der König Zephalus hat stets ein Spießchen in der Hand und sucht im entscheidenden dramatischen Moment das Klo. Es rumpelt in seinen Gedärmen, und bald kommt auch ein Gewitter – unbedingt notwendig, damit Lasso und Scharada die Flucht gelingen kann.

Auf der Bühne sind die Chöre nach Größe gestaffelt und es hat seinen eigenen Witz, wenn der erste Rat von Sternendeutern und Gelehrten, den Scharada zur Rätsellösung hinzuzieht, deutlich kleiner als die zwölfjährige Darstellerin (Milla Luisa Dell’Anna) der Heldin ist.

Wenn dann nach dem Schlussapplaus auch das Orchester auf die Bühne kommt, mit großen und kleinen Musiker:innen, ist das nochmal ein besonderer Moment des Staunens – das funktioniert also tatsächlich, das Zusammenspiel von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Zumindest in der Aufführung der Oper, die damit ihrer gruseligen Geschichte als Utopie gegenübersteht.

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