Die Zukunft, wie sie RWE sieht: Nach der Kohle
Der Energieriese RWE schmiedet heftig Pläne für die Zeit nach dem Braunkohletagebau. Dabei gibt sich der größte C02-Emittent Europas fortschrittlich.
A lle tragen Helm. Klar, muss auch so sein auf einer Baustelle. Die RWE-Leute tun das vorbildlich. „RWE“ steht groß vorne drauf, Blau auf Weiß. Auch alle anderen tragen diese Helme: Politiker und Forscherinnen, Verwaltungs- und Presseleute. Niemand überklebt „RWE“ an diesem Septembertag. Also kann RWE sich freuen: Alle sind RWE.
Empfohlener externer Inhalt
Alles ist RWE, hier in den rheinischen Braunkohlerevieren zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach. Dem Konzern gehört das halbe Rheinland westlich des Rheins, zusammen viele hundert Quadratkilometer.
Bei dem Termin im September gibt sich RWE fortschrittlich. Während sich im Hintergrund die Schaufelräder des Braunkohletagebaus Garzweiler drehen, stellen seine Vertreter gut behelmt eine „Agri-PV-Anlage“ vor.,„Agri“ steht für Agrikultur, zu Deutsch Landwirtschaft, „PV“ für Photovoltaik. Über den Ackerflächen sind erste Solarpaneele in einigen Metern Höhe platziert, schrägen Dächern ähnlich. Das erlaubt Doppelnutzung: unten Pflanzenwuchs, oben Energieerzeugung, der Landrat spricht von einem „Highlight im rheinischen Revier“.
„Growing-Green“ nennt der Konzern seine neue Strategie. Auf seiner Website ploppen feine Solarfelder auf und Offshore-Windparks mit dem Hinweis, die Firma plane 50 Milliarden Euro bis 2030 zu investieren. Ein anderes Bild zeigt ein mild dösendes Lämmlein vor weiten Feldern: „Sie haben Nutzflächen? Wir haben Know-how!“
Zugleich steckt RWE noch tief im Staying-Brown-Zeitalter. Seit Jahrzehnten ist der Konzern Europas größter CO2-Emittent, und das soll auch so bleiben: Bis mindestens 2030 darf RWE weitere 280 Millionen Tonnen Braunkohle verfeuern, beschlossen im Oktober 2022 von den grünen Wirtschaftsministern Robert Habeck (Bund) und Mona Neubaur (NRW) mit RWE-Chef Markus Krebber.
Die Akteure
Das Wissen über die Klimakrise ist da, das gesellschaftliche Bewusstsein auch. Was fehlt, sind Konsequenzen: Politische Entscheidungen, die die nötigen Veränderungen zügig vorantreiben. Für diese Blockade sind nicht „die Verhältnisse“ verantwortlich, es gibt konkret Verantwortliche. Das sind Akteure, die die Interessen klimaschädlicher Industrien vertreten, an diesen verdienen und nötige Veränderungen verhindern oder verschleppen.
Die Serie
In der vom Weltklimastreik am 3. März bis Ende 2023 laufenden Serie „Klimasabotage“ fragt die taz: Wer sabotiert die Entscheidungen, die das Klima und unsere Lebensgrundlagen retten? Wer blockiert, was nötig ist – und warum? Wer führt uns in die Krise?
Der Schwerpunkt
Die Schwerpunktseite Klimasabotage auf taz.de versammelt bereits zahlreiche Texte zum Thema. Zuletzt haben wir uns unter anderem der fossilen SPD gewidmet: Das Blockieren von Klimaschutz ist schon in der Struktur der Partei angelegt – durch Verflechtungen mit der Wirtschaft, durch Gewerkschaftsnähe und durch Traditionen.
Nicht mal die Parlamente wussten von den Gesprächen. Vor allem gibt es, sehr unüblich, keine Protokolle. „Die ganze grüne Partei war überrascht, als dieser Deal mit RWE plötzlich auf dem Tisch lag“, sagt der EU-Abgeordnete Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher der Grünen und maßgeblicher Verhandler zu den europäischen CO2-Zertifikaten.
Eine Wüstenlandschaft
Spaziergang an der Garzweiler Tagebaukante. Loch, wohin man blickt, von unfassbarer Weite und Tiefe, eine Wüstenlandschaft. Tief unten zerfräsen die größten Baumaschinen der Welt (100 Meter hoch) das Terrain. Von oben wirken sie wie unschuldige Spielzeuge. Nach der Auskohlung sollen die endlosen Löcher zu riesigen künstlichen Seen werden, mit Wasser aus dem Rhein.
Mehrere Milliarden Kubikmeter mögen durch 45 Kilometer unterirdische Röhren von je zwei Metern Durchmesser angeflossen kommen. RWE plant längst die Details. Baubeginn: 2025; Schleusen auf: 2030, mit dem Ende des Tagebaus. Über 200 Quadratkilometer Wasserfläche sind avisiert, fast der halbe Bodensee. Das Hambacher Loch, eines von insgesamt vieren, soll zum tiefsten See Deutschlands werden.
Im Jahr 2070 will man fertig sein, ein kühner Zeitplan. RWE glaubt: „Der Rhein führt über das Jahr gesehen ausreichend Wasser.“ Die Landesregierung sekundiert: 40 Jahre seien machbar als „überschaubarer Befüllungszeitraum“ für einen „nachsorgefreien Wasserhaushalt“.
Aber es gibt auch Widerspruch: Der Bürgermeister der Entnahmegemeinde Dormagen am Rhein hat Anwälte eingeschaltet: Wegen der Klimaerhitzung müsse man mit einer heute nicht kalkulierbaren Verdunstung rechnen. Zudem drohe Versauerung der Gewässer – notfalls müsse halt massiv gekalkt werden, heißt es. Nur, wie reagieren Seefauna und -flora darauf? Welche entstehen überhaupt? Die Hydrologin Lisa Graf vom Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz schreibt, RWE und das Land Nordrhein-Westfalen seien dabei, „eine neue Natur zu konstruieren“.
Seegelboote weisen in die Zukunft
Wie so etwas aussehen könnte, lässt sich 40 Kilometer weiter bei den Plänen für den Tagebau Inden sehen, der ebenfalls 2030 enden soll. Ein „Indescher Ozean“ soll hier entstehen, die Pläne zeigen Lagunen, Segelboote, Jachthafen, breite Sandstrände in südseeliger Pracht, Spielzeughäuschen am See.
RWE, 1898 als Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk in Essen gegründet, ist heute eine DAX-geführte Aktiengesellschaft. Größter Einzelaktionär ist seit März 2023 mit 9,1 Prozent die Qatar Holding LLC.
Umsatz per annum 38 Milliarden Euro, Jahresüberschuss 2022 nach Steuern: 3,2 Milliarden. Selbst bei der Stromerzeugung aus Braunkohle steigerte RWE den Gewinn aktuell um neun Prozent gegenüber 2021.
Fast 0,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen gehen auf RWE zurück. Beim Oberlandesgericht Hamm liegt derzeit eine Klage des peruanischen Bergführers Saúl Luciano Lliuya, der RWE wegen den befürchteten Folgen der Gletscherschmelze in den Anden für sein Heimatdorf zur Kasse bitten will. (müll)
Nichts davon ist politisch beschlossen, aber es „vermittelt eine Anmutung, wie es aussehen könnte“, sagt ein Sprecher der Indeland GmbH („ich.see.zukunft“), einem Strukturentwicklungsprojekt von sieben Anrainerkommunen. Im Aufsichtsrat sitzen unter Vorsitz des Dürener CDU-Landrates Wolfgang Spelthahn, einem kompromisslosen Kohlejünger, die VertreterInnen der Gemeinden.
Und sie sind nicht allein: Zum Aufsichtsrat gehört auch ein Mann von RWE als „beratendes Mitglied“. Auch im kommunalen „Zweckverband Landfolge Garzweiler“ sitzen RWE-Leute, dort sogar im Lenkungsausschuss. Die „Perspektive.Struktur.Wandel GmbH“, geschaffen, um „attraktive Perspektiven“ für die Kohlestandorte zu finden, ist vom Land und RWE gleich gemeinsam gegründet worden.
Die Seen sind in der „Leitentscheidung Braunkohle“ festgeschrieben, die die schwarz-grüne Landesregierung im September veröffentlicht hat. Darin wird festgelegt, was aus den Riesengruben wird, was aus den Dörfern am Rand. Die Landesregierung lobt ihre Planungen als „einen Meilenstein für den Klimaschutz“.
Doch die Leitentscheidung wurde erwartbar zwiespältig aufgenommen: Die Kommunen vermissen Konkretisierungen, die Antikohle-Initiative „Buirer für Buir“ sieht bei RWE zu viel „Spielraum zur Durchsetzung privatwirtschaftlicher Interessen ohne Berücksichtigung von Naturschutz und kommunaler Belange“. Alle Planungen sehen Gewerbeansiedlungen vor (gern ergänzt um „wissenschaftlich begleitet“) und Industriegelände.
„CDU und RWE haben sich mal wieder auf ganzer Linie durchgesetzt, während die Ideen der Zivilgesellschaft vollständig ignoriert wurden. Eine grüne Handschrift kann ich nicht erkennen“, schreibt Antje Bussberg vom Bündnis „Alle Dörfer bleiben“.
Die grüne Landtagsabgeordnete Antje Grothus aus Buir, die „Buirer für Buir“ einst mitgründete, erkennt dagegen „eine klare grüne Handschrift“. Die Leitentscheidung sei ein Erfolg, „wenn man bedenkt, dass es auch politische Kräfte gibt, die am liebsten fast alles abreißen wollten“. Der Hambi gehört bis heute RWE. Der Wald solle, wünscht Grothus, „dem Land NRW oder einer Stiftung mit Landesbeteiligung übertragen werden“.
Erinnerungsspeicher als Traum
„Der schönste Traum“ von Antje Grothus: „Ein Museum in Buir, gleich einem Erinnerungsspeicher zur 1.200-jährigen Geschichte des Hambacher Bürgewaldes, vermittelt Menschen aller Generationen dessen bewegte Geschichte und Gegenwart. Die Kirche in Manheim wird genutzt als Archiv, in dem an alle Dörfer erinnert wird, die die Braunkohletagebaue vernichtet haben. Der Hambacher Wald wird mit den umliegenden Wäldern großflächig vernetzt …“
Die Realität sieht anders aus. Für den ältesten östlichen Teil des Tagebaus Garzweiler gab es charmante Ideen für ein kleines Ökoparadies auf sieben Quadratkilometern, das die Aachener Gutachterfirma ahu ausgearbeitet hat: „Ein Mosaik aus Flachwasserbereichen“, mit „hoher Biodiversität durch Lebensraum für Amphibien, Insekten, Schlangen, Vögel … “ Jetzt legt die Leitentscheidung humorlos fest: „Garzweiler Ost ist komplett zu verfüllen.“ Der zuständige CDU-Bürgermeister von Jüchen hatte sich immer für Gewerbeparks eingesetzt.
RWE brilliert mit euphemistischem Wording: Ländereien, Dörfer, Denkmäler, Friedhöfe und Kirchen hat man jahrzehntelang nicht etwa vernichtet, sondern „bergbaulich in Anspruch genommen“. Abriss heißt immer: „Rückbau“, nach der Kulturzerstörung folgt die „Rekultivierung“. Vertreibung ist „sozialverträgliche Umsiedlung“. Der Konzern hat nicht etwa Tausende naturfeindliche Grundwasserpumpen installiert, sondern: „Brunnen“ – mit Brunnen assoziiert man gemeinhin das Gewinnen von Wasser, nicht das Abpumpen.
Wenn man heute den Hambacher Wald durchstreift oder vielmehr das, was der Tagebau davon übrig gelassen hat, fällt das Siechtum überall ins Auge. Bäume gehen reihenweise ein, weil RWE auch nach dem gerichtlichen Rodungsstopp 2018 seine steilen Kanten bis 50 Meter an den Waldrand heran gegraben hat. Die Folge: Wasser sickert seitlich weg, die Flora trocknet aus. Und die Bäume am Rand sind den monatelang heißen Sommerwinden aus dem tiefen Loch ausgesetzt, Feinstaubnebel gratis dazu. Der Wald stirbt.
Doch der Konzern zieht alle auf seine Seite. Im November 2017 hatte die Stadt Kerpen, auf deren Gebiet ein großer Teil des Hambacher Waldes liegt, mit der RWE Power AG die „Rahmenvereinbarung für eine nachhaltige Zusammenarbeit“ geschlossen. Im Sinne einer „gemeinsamen Verantwortung“ habe sich „eine konstruktive Partnerschaft entwickelt“, heißt es darin.
RWE versicherte, man werde der Stadt bei Bedarf geeignete Grundstücke „zur Verfügung stellen (Kauf oder Pacht)“ und sich weiterhin „im Masterplan Hambach als verlässlicher Partner und Nachbar“ einbringen. Die Stadt versprach im Gegenzug „die Weiterentwicklung des Tagebaus nicht infrage zu stellen“.
Öffentlich bekannt wurde das Papier erst jetzt. Kerpens grüne Ortsvorsitzende Annika Effertz nennt das Abkommen „Ausverkauf unserer Heimat“ und „Kapitulation gegenüber RWE“. Derzeit laufen über „Frag den Staat“ Auskunftsbegehren an die Kommunen ringsum, ob es noch mehr solche Geheimkontrakte gibt.
In der Kerpener Rahmenvereinbarung hatte RWE auch zugesagt, dass Nachbarschaftshilfen und Sponsoring „grundsätzlich fortgesetzt werden“ sollen. Solche Finanzspritzen sind seit Auftauchen der ersten Kohlebagger wichtiges PR-Instrument des Konzerns. Da wurden Fußballplätze ausgebaut, Kitas unterstützt, Vereinsheime renoviert, eine „breite Unterstützung“, so RWE. Konkrete Summen will der Konzern auf taz-Anfrage nicht nennen.
Über Jahrzehnte arbeitete aus fast jeder Familie jemand für den Konzern, viele lebenslang, obendrein vergleichsweise gut bezahlt. Zu Hochzeiten waren mehrere Zehntausend im Braunkohlebusiness tätig. Heute sind es nach Konzernangaben noch knapp 7.500. Immer hatte RWE auch die Gewerkschaft IG Bergbau felsenfest auf seiner Seite. Umschulungen, Jobwechsel? Hätten immer Einkommensverluste bedeutet. Also: am besten RWE forever.
Zurück nach Garzweiler. Fünf Orte neben dem Tagebau werden entgegen allen Planungen nun doch nicht vernichtet. Fast komplett entsiedelt sind sie trotzdem schon, weil die meisten verkauft haben und weggezogen sind. Etwa Keyenberg: Ein Spaziergang durch den Ort ist in diesen Tagen ein Eintauchen in tiefe Tristesse. Geschätzt neun von zehn Häusern sind leer. Überall zugewucherte Vorgärten, kaputte Zäune, zugebretterte oder -gemauerte Fenster. Der Keyenberger Hof ist verrammelt, kein Geschäft hat mehr geöffnet außer Bäcker Laumanns, der hat noch stundenweise auf. Kaum wer auf der Straße. Ein Trecker tuckert vorbei, als habe er sich verfahren. Dann hört man wieder dieses brummende Summen.
Das sind die Bagger am Ortsrand. 400 Meter Abstand sind zwischen Grube und der Dorfgrenze vorgeschrieben. RWE hält sich nicht daran. Nachgemessen sind es bis zum Schutzwall noch gut 250 Meter. Es habe bislang noch keine gesetzlich verbindliche Zahl 400 gegeben, nur eine vage Absichtserklärung, meint RWE. Die in Keyenberg verbliebenen EinwohnerInnen leiden Tag und Nacht unter Feinstaub und dem pausenlosen Surren der Baggermonster.
„Zukunftsdörfer“ in einem „Innovation Valley“
RWE hat mit der Gegend große Pläne: Keyenberg und die vier anderen geretteten Garzweiler-Ortschaften sollen „Zukunftsdörfer“ werden in einem „Innovation Valley“ – wie immer ein Tal in der pottflachen Gegend aussehen mag. Details sind unklar. Rund 90 Prozent der ehemals 1.500 BewohnerInnen sind weggezogen. Aber manche Vertriebene wollen ihre verkauften Häuser in der alten Heimat zurückkaufen.
Die Landesregierung hat entschieden, dass die Kommunen bei Rückkaufwünschen „ein Interessensbekundungsverfahren aufrufen und Anlaufstellen einrichten“ müssen. Dann weiß man zentral, wer wo zurückwill. Das dauert. Fakten schaffen sich derweil selbst: Der Verfall der Häuser, teils schon seit 2016 leerstehend, geht weiter, eine Sanierung würde ständig teurer, bald nicht mehr lohnend. Das schreckt ab.
Und was ist, wenn RWE für den Rückkauf Mondpreise aufruft? RWE hat kein Interesse an den Fastruinen, sehr wohl aber am Grund und Boden. Das ist auch der Grund, weshalb Ackerflächen nicht zurückgekauft werden können.
Ein Rückkauf soll nur zur Eigennutzung möglich sein, so soll Spekulation verhindert werden. Doch schon heute, berichten Anwohner, cruisen Ortsfremde in schicken Autos durch die Dörfer und fragen nach Kaufmöglichkeiten. Es lockt das Invest in ein Haus am See.
Von der entweihten Kirche von Keyenberg mitten im Ort geht es über die Holzweilerstraße nach Süden. Aber nach Holzweiler geht es nicht mehr: Durchfahrt verboten. RWE hat auch hier schnell Fakten geschaffen. Die Landstraße L12 ist, allen Protesten zum Trotz, seit August Stück um Stück weggegraben, kein Durchkommen mehr, keine Busse, weite Umwege für alle. Die Bagger sind längst vorgerückt. Damit ist Keyenberg von zwei Seiten verhalbinselt.
Um Kohle geht es hier gar nicht mehr: RWE braucht viele Millionen Tonnen Abraum zur Abflachung der bislang teils fast senkrechten Grubenränder ringsum in allen Tagebauen.
Doch war bei dem, was in den Tagebaugebieten werden soll, von der Politik nicht immer Bürgerbeteiligung versprochen worden? Eine Studie der Uni Bochum kam jetzt zu ernüchternden Ergebnissen: Alle Beteiligungsangebote seien „wenig inklusiv und transparent. Ambitionierte Methoden zur Partizipation wurden bisher kaum angewandt.“ Auch in die Leitungsgremien hätte verlässlich „die Vielfalt der Zivilgesellschaft eingebunden werden“ sollen. Ist sie aber nicht. Und, so die Bochumer Forscher: Gerade junge Leute seien fast gar nicht einbezogen worden.
Das haben die jetzt punktuell selbst gemacht, dank der Demokratiewerkstatt Rheinisches Revier. Im Sommer interviewten Jugendliche zwei Wochen lang Menschen aus der Region, wie sie leben wollen nach den Baggern. Zwei Kameraprofis halfen und filmten, Marcus Belde ist einer davon: „Die jungen Leute haben sich so was von reingeklemmt in die Thematik, sich echt fit darauf eingelassen“, sagt er. Seine Premiere hatte der Dokumentarfilm „Nach der Kohle“ in der Kirche des geretteten Dorfs Kuckum.
Bei einem Infotreffen nebenan in Erkelenz klagten zahlreiche Anwohner, nichts gehe voran. Man müsse die Pläne der Landesregierung abwarten, erwiderte der junge CDU-Bürgermeister Stephan Muckel. Die Forderung die Erdwälle an den Grubengrenzen mit jungen Bäumen zu bepflanzen, als Sichtschutz und Lärmschutz und als psychologische Grenze, musste Muckel leider abweisen. Die Idee sei gut, aber die rechtliche Grundlage fehle. Das Land gehört RWE.
Der Verein „Dörfergemeinschaft Kulturenergie“, ein Zusammenschluss von rund 20 Familien in den fünf Garzweiler-Gemeinden, hat die Idee Demenzdorf ausgearbeitet: in einem Viertel von Keyenberg würden Menschen mit Orientierungsproblemen und ihre HelferInnen untergebracht. Die Idee bekam sogar einen Preis vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt und Raumforschung.
Von Umsetzungsplänen ist bislang nichts bekannt. Dabei sollte es am Geld nicht scheitern: Zur Verfügung stehen bis 2030 fast 15 Milliarden Euro Strukturhilfe für das Revier.
In Nordrhein-Westfalen haben RWE und Politik gleich welcher Couleur immer blendend zusammengearbeitet, weshalb die links-grüne Szene schlicht von NRWE spricht. Gregor Golland, der heutige CDU-Fraktionsvize im Landtag, ist seit Jahren mit mindestens 90.000 Euro im Jahr auf der Payroll von RWE. Warum ist er dem Konzern so viel wert ist? Golland sagt nur: „Ich arbeite einfach mehr als der Normalverdiener. Ich mache beide Jobs gut, sonst hätte ich sie nicht.“ Bundesweit bekannt wurde Golland als der Mann, der beim Ahrtalbesuch 2021 rechts hinter Armin Laschet so herzerfrischend mitlachte.
Dokumentiert ist auch der Fall eines SPD-Abgeordneten im Kerpener Stadtrat, der seine Mailadresse mit @rwe.com anzugeben pflegte und das, wie sich eine Zeugin gegenüber der taz erinnert, „ganz normal fand“. Warum auch nicht. Wenn doch eh alle RWE sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind