: Die Zukunft ist grün und schleimig
Die Stadtluft ist stark belastet, und Abwassersysteme verschlingen Energie. Mikroalgen sollen beides besser machen. Wie geht das?
Aus Berlin Melina Möhring (Text) und Sebastian Wells (Fotos)
Mitten in der Stadt liegt ein Hauch von Meer in der Luft. In den alten Hallen des Berliner Flughafens Tegel forscht ein Start-up an Mikroalgen, winzig kleine, grüne Farbtupfer, die an spätsommerliche Badeausflüge erinnern. Im Labor stehen bauchige Glasbehälter, in denen grüne Flüssigkeit gluckert, darüber LED-Beleuchtung, überall Schläuche und Ampullen.
Das Unternehmen Solaga entwickelt Luftfilter, die mithilfe von Mikroalgen die Raumluft reinigen sollen, und forscht unter anderem daran, Mikroalgen in der Abwasserbehandlung einzusetzen. Denn Mikroalgen können etwas, das sie sehr nützlich macht: Sie nehmen Schadstoffe aus der Luft und dem Wasser auf – und zwar viel effektiver als Pflanzen. Diese Fähigkeit könnten wir uns zunutze machen, denn die Luftqualität in deutschen Großstädten ist mittelmäßig. Die europäischen Grenzwerte werden zwar meist eingehalten, doch keine Stadt erreicht den Richtwert der Weltgesundheitsorganisation für wirklich saubere Luft. Die Abwasseraufbereitung wiederum frisst viel Energie.
Projektleiter Ricardo Arraga, 28, dunkle Locken und argentinischer Akzent, steht vor einer grünen Leinwand und erklärt, wie die Algenluftfilter funktionieren sollen: „Wir geben den Mikroalgen Wasser, Licht und Nährstoffe und dank Photosynthese nehmen sie CO2und Luftschadstoffe auf und produzieren Sauerstoff.“ Das Besondere: Er züchtet die Mikroalgen im Biofilm – also in Schleimschichten, die von den Mikroorganismen selbst gebildet werden – statt im Wasser. Das spare Energie und mache die Systeme robust gegenüber Pflegefehlern. So entstehen Algenbilder, die in Holzbilderrahmen in privaten Wohnzimmern oder Konferenzräumen in Büros hängen und aussehen wie das Bild, vor dem er steht: tiefgrün und glitschig.
Ricardo Arraga und sein Team arbeiten an Luft- und Multifiltern mit Mikroalgen, weil diese vielen Pflanzen zwei Dinge voraushaben. Zum einen nehmen sie Nährstoffe auf, die im Abwasser oft im Übermaß vorhanden sind: Phosphor, Ammonium, Stickstoff. In großen Mengen stören diese das ökologische Gleichgewicht in Böden und Gewässern. Mikroalgen hingegen freuen sich über die nährstoffreiche Brühe, die bisher in Kläranlagen mit hohem Energieaufwand aufbereitet wird, und nutzen sie für ihr Wachstum – je mehr davon, desto besser. Wie bei einem klaren Teich, der binnen Tagen zu einer grünen Brühe wird. Zum anderen absorbieren die Mikroalgen Schadstoffe aus der Luft. Ihre negativ geladenen Zelloberflächen nehmen positiv geladene Metalle wie Eisen und Magnesium auf. Auch Partikel toxischer Schwermetalle wie Blei und Cadmium können Mikroalgen speichern.
Ein weiterer Vorteil von Algen gegenüber anderen ökologischen Lösungen wie Pflanzen: Auch sie binden CO2, schätzungsweise rund die Hälfte des weltweit absorbierten Kohlendioxids, wachsen aber viel schneller als Bäume und Co. So stehen die ersten „flüssigen Bäume“ – sie sehen aus wie Werbesäulen gefüllt mit Wasser und Mikroalgen – bereits jetzt in Belgrad und Paris. In Paris etwa ist eine grüne Säule direkt an das Abwassersystem angeschlossen. Ist ihre CO2-Aufnahmekapazität erreicht, werden die Algen in die Kanalisation gespült und später in der Kläranlage in Biogas umgewandelt. Laut den Forschenden bindet der Prototyp der Säule so viel CO2 wie 112 Bäume. Momentan benötigt sie zwar noch ziemlich viel Energie, um die Algen zu züchten – doch das soll sich ändern.
Dass Mikroalgentechnologie in der Praxis deutlich komplizierter umzusetzen ist als auf dem Papier, weiß man auch bei Solaga. Ihr erstes Projekt scheiterte daran, dass sie für eine nachhaltige Energiegewinnung mit Algen zu große Mengen hätten produzieren müssen. Auch die Bilanz der Algenbilder und Algenwände ist bisher noch durchwachsen, da sie je nach Umgebungsklima unterschiedlich reagieren, sodass ohne Fachwissen schnell etwas schiefgehen kann.
Zum Beispiel stattete das Unternehmen einst für Tesla zwei Konferenzräume mit Algenwänden zur Luftreinigung aus. Anfangs funktionierte das noch gut, doch dann trockneten die Wände aus. Laut Fulvio Rosano, einem Kollegen Arragas, sei bei Tesla nach anfänglichem Bemühen immer öfter die Bewässerungspumpe ausgeschaltet geblieben und niemand fühlte sich dort verantwortlich.
Die ersten Algenwände und Algenbilder, die Solaga an Tesla und Privatpersonen verschickte, stehen inzwischen etwas verloren an die Regale gelehnt auf dem Boden. Doch geforscht wird weiter: Arraga und sein Team züchten neue Mikroalgenarten heran und schmieren sie auf unterschiedliche Oberflächen, um pflegeleichtere Bilder fürs Wohnzimmer zu entwickeln. Wie bei vielen nachhaltigen Start-ups hängt auch bei Solaga vieles an einem Produkt, das sich verkauft – ohne dieses bleibt das Unternehmen auf externe Finanzierung angewiesen.
Michael Melkonian ist Botaniker und gehört zu den renommiertesten Algenforschern Deutschlands. Für ihn sind Mikroalgen eine der Schlüsselressourcen für eine nachhaltigere Zukunft. Egal ob als Dünger, CO2-Speicher, Wasser- oder Luftfilter, Biokunststoff, Nahrungsergänzung, Tierfutter, Energiequelle oder in der Pharmaindustrie.
Melkonian sieht bei Raumluftfiltern auf Mikroalgenbasis nur begrenztes Potenzial. Damit diese Schadstoffe aus der Luft filtern, muss die schadstoffhaltige Luft unmittelbar an ihnen vorbeiströmen. Dies sei nur mit regelmäßiger Lüftung oder einem aktiven Luftansaugsystem möglich, wie es viele herkömmliche Filter besitzen. Es gebe jedoch bereits technisch effizientere Lösungen.
In der Abwasserbehandlung sei die Sache schon anders, so der Botaniker. „Man muss nur mal genauer hinschauen, was in den Abwasserbecken der Industriebetriebe schon lebt, und dann mit der Natur zusammenarbeiten.“ Denn Mikroalgen wüchsen im nährstoffreichen Abwasser quasi von selbst und seien schon an die Belastungen angepasst. Sie ließen sich gezielt nutzen, um beispielsweise Phosphor zurückzugewinnen. Phosphor ist eine endliche Ressource, die für die Landwirtschaft sehr wichtig ist und momentan teuer zurückgewonnen wird. Mikroalgen könnten das günstiger.
Doch bislang fehle es in der Algenforschung in Deutschland vor allem an einer übergreifenden Infrastruktur. Geht es nach Michael Melkonian, bräuchte es ein zentrales Algenforschungsinstitut. Der Durchbruch der kleinen Power-Organismen gelänge erst, wenn diese in großem Maßstab kultiviert werden könnten, zuvor seien sie als Zukunftstechnologie nicht wettbewerbsfähig. Bis dahin sind es Start-ups und andere Tüftler, die versuchen, Lösungen im Kleinen zu finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen