Die Zukunft des Hamburger Hafens: Auf Wasser gebaut
Immer größer werden die Containerschiffe. Für den Hamburger Hafen ist das ein Problem, denn eine weitere Vertiefung ist mit der Elbe nicht zu machen.
D er Überseeclub ist der Ort, wo die Hamburger Bürgermeister ihre programmatischen Reden halten. 1983 schilderte Klaus von Dohnanyi (SPD) hier seine Vorstellungen vom „Unternehmen Hamburg“, 2003 erklärte Ole von Beust (CDU) die „Metropole Hamburg“ zur „wachsenden Stadt“ – Schlagworte, die dem politischen Diskurs auf Jahre hinaus eine Richtung gaben. Im April dieses Jahres, in dem der Club auch sein Hundertjähriges feiert, sprach der aktuelle Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) über den Hafen als „Tor zur Zukunft“.
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Wie richtungsweisend das sein wird, ist naturgemäß offen. Allein der Anspruch mag jedoch erklären, warum kürzlich bundesweit diskutiert wurde, ob sich die staatliche chinesische Reederei Cosco an einem Containerterminal im Hafen beteiligen dürfe. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) höchstselbst drückte das gegen den Widerstand von sechs Kabinettskollegen durch.
Scholz, der vor seinem Wechsel nach Berlin sieben Jahre lang Hamburger Bürgermeister war, weiß wie sein Amtsnachfolger Tschentscher um die Bedeutung des Hamburger Hafens. Zwei Drittel des deutschen Exports liefen über den Seeweg, sagte Tschentscher in seiner Rede vor dem Überseeclub. Der Hamburger Hafen wickle für die meisten Bundesländer mehr als die Hälfte ihres Seegüterverkehrs ab. „Wir sind das Tor zur Welt für den Freistaat Bayern, so einfach kann man das sagen.“ Dabei zeigten die aktuellen Krisen, „wie stark unser Wohlstand und die Versorgungssicherheit Deutschlands vom Welthandel und funktionierenden Logistikketten abhängen“, sagte Tschentscher.
Der Motor der Stadt
Dass der Hamburger Hafen weiter munter wächst und als Motor die Stadt am Laufen hält, ist jedoch kein Selbstgänger mehr, war es vielleicht auch nie. Hamburg hat im wichtigen Containerverkehr Marktanteile an Rotterdam und Antwerpen abgegeben – und das, obwohl die Elbe für die immer größeren Containerschiffe gerade wieder für geschätzte 800 Millionen Euro vertieft wurde.
Kritiker wie die Umweltverbände Nabu, BUND und WWF halten die Elbvertiefung für unnötig und unsinnig. Schließlich stehe Deutschland mit dem Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven ein kaum genutzter Tiefwasserhafen zur Verfügung.
Doch inzwischen stellt sich sogar die Frage, ob sich die Elbe überhaupt noch dauerhaft vertiefen lässt. „Die neunte Elbvertiefung ist gescheitert“, hat das frisch formierte rot-grüne Regierungsbündnis in Niedersachsen dem Nachbarn gerade bescheinigt. Das zeige sich darin, dass Hamburg und der Bund es nicht schaffen, die neue Fahrrinnentiefe tatsächlich zu halten, erläutern SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag. Es lagert sich einfach zu viel Schlick und Sand ab.
Die Niedersachsen gehen sogar so weit, ihren rot-grünen Regierungskollegen der Hansestadt mit einer Klage zu drohen und damit einen Ausweg abzuschneiden: „Wir lehnen Schlickverklappungen vor der Vogelschutzinsel Scharhörn strikt ab und werden nötigenfalls rechtliche Schritte ergreifen“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Den Schlick und Sand, der die Elbfahrrinne immer wieder aufs Neue verstopft, bei der Vogelschutzinsel am Rande des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer loszuwerden, ist Tschentschers große Hoffnung. Denn zurzeit läuft das oft so: Der Schlick, den die Wasserbauer in Hamburg aus der Fahrrinne und den Hafenbecken baggern, schütten sie stromabwärts wieder ins Wasser. Von dort aus bringt ihn die Flutwelle wieder zurück. Das Grundproblem dabei ist, dass Hamburg einen tideoffenen Hafen hat. Es gibt kein Sperrwerk zur Nordsee hin, sodass die Gezeiten mit Ebbe und Flut noch 120 Kilometer im Landesinneren zu spüren sind, und zwar deutlich. Drei Meter beträgt der Tidenhub, also der Unterschied zwischen Ebbe und Flut, am Pegel St. Pauli. Infolge der vielen Elbvertiefungen ist das etwa doppelt so viel wie 1870, kurz bevor das Deutsche Reich gegründet wurde.
Die Flut dringt deshalb mit größerer Wucht in den Mündungstrichter ein als früher und schwemmt mehr Sediment in den Hafen, als die Ebbe wieder mitnehmen kann. Die Folgen der wiederholten Flussvertiefungen hielten sich lange Zeit in Grenzen. Doch nach der Elbvertiefung Anfang der nuller Jahre verzeichneten die Behörden erstmals einen explosionsartigen Anstieg der Baggergutmengen.
Der Effekt war so stark, dass bei der Hamburger Hafenbehörde (HPA) und der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) ein Umdenken einsetzte. „Wir haben ein völlig neues Weltbild bekommen“, hieß es bei der HPA, die künftig die gesamte Tideelbe statt nur den Hamburger Hafen in den Blick nehmen wollte. Zusammen mit anderen Akteuren, auch den Umweltverbänden, arbeiten sie an einem Konzept, das dem Fluss wieder mehr Raum geben soll, sodass sich das Wasser verlaufen kann.
Das Problem noch einmal verschärft
Nach Abschluss der jüngsten Vertiefung Anfang des Jahres hat sich das Problem jedoch noch einmal verschärft. Der NDR zitierte kürzlich aus einem Schreiben, das der Chef der Lotsenbrüderschaft Elbe verschickt hat. Darin kritisiert er, dass die Lotsen „mit 400-Meter-Schiffen“ um Untiefen herum „Slalom“ fahren müssten.
Die Wasserstraßenverwaltung räumt ein, dass nicht der volle Tiefgang genutzt werden kann. „Langsamfahrstrecken und Begegnungsverbote, die zur Aufrechterhaltung einer sicheren Schifffahrt erforderlich sind, werden laufend an die veränderliche Lage angepasst“, teilt die Behörde mit. Zusätzlich zu den prognostizierten, mehrjährigen Anpassungsreaktionen des Gewässerbettes hätten mehrere Sturmfluten im Frühjahr und der zu geringe Zulauf aus dem Elbeeinzugsgebiet die Ablagerungen in der Tideelbe verstärkt.
Dem Bürgermeister haben die Wasserbauer erklärt, dass diese Sedimente einmal aus dem System genommen werden müssten und sich die Lage dann wieder normalisieren werde. Klaus Baumgardt vom Umweltverband Rettet die Elbe glaubt nicht, dass das etwas nützen wird. Dem Flussbett ständig Material zu entnehmen verstärke die Tidedynamik weit über die Fahrrinnenanpassung hinaus, sodass sich am Ende noch mehr ablagere.
Beobachten lasse sich das an der Verlandung von Wattflächen, der Sportboothäfen am Rande der Elbe und der Nebenflüsse sowie an verstärkten unerwünschten Umlagerungen im Flussbett. Auch die aktuellen Schwierigkeiten in der Fahrrinne habe die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung sich selbst zuzuschreiben. „Sie haben Schlickroulette gespielt“, sagt Baumgardt. Die neuen Böschungen seien zu steil geplant worden. Die Verwaltung räumt verstärkte Sedimenteinträge „insbesondere im Böschungsbereich“ ein.
Der Güterumschlag stagniert
Dass die für Containerriesen „angepasste“ Fahrrinne nach 22 Jahren Planungs- und Bauzeit noch immer nicht vollständig zur Verfügung steht, findet Norman Zurke vom Unternehmensverband Hafen Hamburg (UVHH) besonders ärgerlich. Dass in einem solchen Zeitraum Ladung abwandere, sei doch klar, sagt er. Der Güterumschlag im Hamburger Hafen stagniert jedenfalls. Gerade in dem besonders wichtigen Segment des Containerverkehrs hat er das Niveau vor der Finanzkrise 2008 nicht wieder erreicht.
Neben dem Kapazitätsengpass auf der Elbe nennt Zurke auch die Hinterlandanbindung als Problem. Seit Jahren wird über eine Verstärkung der Nord-Süd-Schienenverbindung diskutiert. Es gibt inzwischen verschiedenste Varianten, die an Bürgerinitiativen scheiterten oder planerisch keinen Sinn ergaben. „Es dauert in Deutschland einfach zu lange, bis etwas umgesetzt wird“, sagt Zurke. Ein Lichtblick seien die Autobahnen, die gerade ausgebaut werden. Deutschland sei überdies ein relativ teurer Standort. Ausgeglichen werden könne das nur durch höhere Effizienz.
Ein etwas freundlicheres Bild zeichnet Klaus Harald Holocher, Professor für Europäische Verkehrswirtschaft und Hafenmanagement an der Jade-Hochschule im ostfriesischen Leer. Holcher weist darauf hin, dass zwar der Umschlag an Leercontainern stark zurückgegangen sei. Zählt man aber nur die beladenen Container, ist Hamburg in zwei Jahren immerhin über das Vorkrisenniveau hinausgelangt. Im Übrigen habe Hamburg vor allem beim „Transshipment“ Ladung verloren, sagt der Professor: also Containern, die mit Riesenschiffen aus Fernost oder Amerika ankommen, um direkt auf kleinere „Feederschiffe“ umgeladen und ins Baltikum verschifft zu werden. Das sei nicht schlimm, denn hiermit sei wenig Wertschöpfung verbunden, während gewinnbringendere Geschäfte gewachsen seien.
Nordrange
Die wichtigsten kontinentaleuropäischen Häfen an der Nordsee werden unter dem Begriff Nordrange gefasst. Dazu gehören Antwerpen, Rotterdam, Wilhelmshaven, Bremerhaven und Hamburg. Mit mehr als 15 Millionen Einheiten (TEU) hat Rotterdam 2021 mehr Container umgeschlagen als die drei deutschen Häfen zusammen.
Hamburg
Der größte deutsche Hafen wirbt damit dass er 120 Kilometer weit im Binnenland liegt und jedes Schiff, das hier einläuft, Tausende Lastwagenkilometer spart. Hamburg hat im vergangenen Jahr knapp neun Millionen Standardcontainer (TEU) umgeschlagen. Der Gesamtumschlag einschließlich einzeln verschiffter Stückgüter wie Autos und Massengüter wie Eisenerz betrug 112 Millionen Tonnen.
Bremerhaven
Das Land Bremen hat einen Hafen in Bremen und einen weitaus größeren in Bremerhaven an der Küste, wo auch sehr tief gehende Schiffe anlegen können. Bremerhaven hat im vergangenen Jahr 47 Millionen Tonnen Güter, darunter gut fünf Millionen Container umgeschlagen, Bremen 13 Millionen.
Wilhelmshaven
Die Stadt und der Hafen am Jadebusen entstanden ab Mitte des 19. Jahrhunderts als Kriegshafen für Preußen. Wegen des im Zuge der Globalisierung stark gestiegenen Containeraufkommens und der Zufahrtsprobleme Hamburgs legten Niedersachsen und Bremen ab 2008 außerhalb der Stadt einen Containerhafen an. Im Jahr 2021 schlug der Jade-Weser-Port gut 700.000 Kisten um.
Das mildert aber nur den Befund, „dass der Hamburger Hafen im Wettbewerb hinter andere Häfen zurückfällt“, wie das Kieler Institut für Weltwirtschaft im Februar feststellte. Vom ersten Nachkrisenjahr 2010 bis 2021 wuchs der Containerumschlag in Antwerpen um 41 Prozent, in Rotterdam um 37 und in Hamburg um 11. Auch Bremerhaven wuchs minimal, und der 2012 in Betrieb gegangene Containerterminal in Wilhelmshaven blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Dabei liegt der „Jade-Weser-Port“ am tiefen Wasser und kann Schiffe jeder Größe abfertigen.
Aus Sicht der Umweltverbände hat dieser mit 950 Millionen Euro Steuergeld aus Niedersachsen und Bremen gebaute Hafen sowieso jede weitere Elbvertiefung überflüssig gemacht. Da lediglich 1 Prozent der Waren wirklich das Ziel Wilhelmshaven hat, während es in Hamburg 30 Prozent sind, biete sich an, in Wilhelmshaven das Transshipment abzuwickeln und von den Ozeanriesen auf kleinere Schiffe umzuladen, argumentiert der Naturschutzbund (Nabu). Wer viel für Hamburg bestimmte Ware hat, könnte die Stadt weiterhin direkt anlaufen.
Würden Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven zusammenarbeiten, ließen sich vielleicht den Niederländern und Belgiern wieder Marktanteile abnehmen. Darüber haben die Terminalbetreiber aus Hamburg und Bremen länglich verhandelt, sind aber nicht zu einem Ergebnis gekommen.
Unternehmerische Entscheidung
Der Hamburger Bürgermeister Tschentscher hält eine Zusammenarbeit für sinnvoll. Das sei aber in erster Linie eine unternehmerische Entscheidung. „Die Senate von Hamburg und Bremen flankieren dieses Projekt auch, aber die Politik kann es nicht verordnen“, sagte Tschentscher vor dem Überseeclub. Die Städte Hamburg und Bremen halten große Anteile an den Betreibergesellschaften.
Wegen des Wettbewerbsdrucks kam in Hamburg auch die Idee auf, die chinesische Reederei Cosco an dem Containerterminal Tollerort im Hamburger Hafen zu beteiligen. Solche Beteiligungen gibt es auch in anderen europäischen Häfen. Erst im Frühjahr hat die EU-Kommission eine Beteiligung der Hamburger Reederei Hapag Lloyd am Containerterminal Wilhelmshaven genehmigt.
Doch die Kooperation mit Cosco, die bei der ersten Ankündigung im September 2021 als wenig problematisch galt, wurde in den vergangenen Wochen heiß diskutiert. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine und nachdem es sich gezeigt hat, wie problematisch es sein kann, sich von einem anderen Land abhängig zu machen, ist auch das Misstrauen gegenüber China gewachsen. So forderte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiner bei seinem jüngsten Ukraine-Besuch, Lehren für die Zukunft zu ziehen. „Und die Lehre zu ziehen heißt, wir müssen einseitige Abhängigkeiten verringern, wo immer das geht, das gilt gerade auch gegenüber China“, sagte der Bundespräsident.
Die Hamburger, allen voran ihr Bürgermeister, werden nicht müde zu betonen, dass die Chinesen hierbei nicht den Hafen kaufen würden, sondern den Teil eines Umschlagbetriebes für Container, der Kais und Flächen von der Stadt gemietet habe. „Was unternehmerisch sinnvoll ist, muss auch in Hamburg möglich sein“, sagte Tschentscher.
Die Logistik reicht nicht mehr
Doch auch dem Bürgermeister und seinem parteilosen Wirtschaftssenator Michael Westhagemann ist klar, dass allein Logistik nicht mehr reicht, um das riesige Hafenareal mitten in der Stadt zu bewirtschaften. „Ein wichtiger Baustein der neuen Hafenpolitik besteht darin, den Hafen gezielt als Innovationsraum für Zukunftsbranchen und Zukunftstechnologien zu nutzen“, kündigte Tschentscher an, nachdem er lang und breit die Rolle des Hafens als Logistikdrehscheibe gewürdigt hatte.
Dafür hatte die Wirtschaftsbehörde sogar öffentlich zur Ideensammlung aufgerufen. Das konkreteste Projekt besteht darin, den Hafen für den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur zu nutzen: Im Hafen könnte importierter Wasserstoff gelöscht werden. Am Standort des stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg will die Stadt zudem einen riesigen Elektrolyseur mit 100 Megawatt Leistung bauen, der aus dem reichlich vorhandenen Windstrom grünen Wasserstoff erzeugt. Das nahegelegene Stahlwerk arbeitet bereits daran, wie es die Verhüttung von Kohlenstoff auf Wasserstoff umstellen könnte.
Das zumindest dürfte auf jeden Fall Zukunft haben.
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