Die Woche: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
Szenen einer Balkonkoalition, Arschkartografie – und die USA könnten sich mit Brüderle als Präsidenten deutlich verbessern.
t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht in der vergangenen Woche?
Friedrich Küppersbusch: Söder mobbt Seehofer, ohne erwischt werden zu wollen.
Und was wird besser in dieser?
Neuer Claim der Bayern-JU: „Enthorstet euch!“
Mehrere Männer behaupten, von Kevin Spacey sexuell belästigt worden zu sein. Auch am Set zu „House of Cards“ soll er Kollegen angegrapscht und mit plumpen Sprüchen schikaniert haben. Die Dreharbeiten zur neuen Staffel hat Netflix jetzt erst einmal eingestellt. Richtig so?
Da ist guter Rat gewiss willkommen – aus einem Land, in dem noch stets Nazi-Durchhaltefilme im TV rotieren, die Geliebtenmörderin Ingrid van Bergen das RTL-„Dschungelcamp“ gewann und die Emma Leni Riefenstahl als „weibliches Filmgenie des Jahrhunderts“ würdigt. Ich kenne wenig erfolgreiche Produktionen, die nicht mindestens einen entgrenzten Egomanen als wesentliche Triebkraft in ihrer Mitte tragen. Auch: nutzen. Die Frage an Netflix scheint mir deshalb eher: Wie lange wusstet ihr? Wie egal war es euch?
In Großbritannien tritt der Verteidigungsminister zurück, weil ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Im British Parliament soll eine Liste mit 40 weiteren Politikernamen kursieren, die sich unsittlich verhalten haben sollen. In Schweden, Frankreich und Italien haben Politikerinnen über ihre Sexismus-Erfahrungen gesprochen. Nur aus der deutschen Politik hören wir erstaunlich wenig. Liegt das daran, dass Brüderle schon weg ist?
Guter Punkt. Die USA könnten sich mit Brüderle als Präsidenten deutlich verbessern. Ist es Sexismus, wenn zwei Frauen – Merkel und von der Leyen – unsere Jungs an ein Dutzend Kriegsschauplätze schicken? Plädiere für #differenzierung.
Ist es geschmacklos, dass die Bahn einen ICE nach Anne Frank benennt?
Morbide Erwägung, ob die Namenspaten „Bonhoeffer“ – er wurde mit dem Zug ins KZ verschleppt – und „Geschwister Scholl“ – ohne Zugtransport gleich in München geköpft – weniger makaber sind. Nein, ich möchte in keinem „Anne Frank“ sitzen, in dem die Bundespolizei nach illegalen Migranten fahndet. Gut gemeint, also ganz schlimm.
Ihre Bilanz des Luther-Jahres?
Ein Antisemit, Sexist und Auslöser für einen verheerenden, bis ins heutige Deutschland nachwirkenden Krieg. Da war viel Interessantes nachzulesen.
Herr Küppersbusch, für oder gegen Kreisgebietsreform?
Jedes Mal Volksfeste der Arschkartografie: Die Einwohnerzahl sinkt, die Verwaltungskosten steigen – das gibt Regierungen aller Farben die Chance, sich brutal unbeliebt zu machen: Kreise größer schneiden. Man nimmt den Leuten ein mitunter schrulliges Heimatgefühl, gewohnte Nummernschilder und schenkt ihnen längere Wege zu den Behörden. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern zogen es trotzdem durch; Thüringens linker MP Ramelow besteht auf Vorzüge wie „landesweiter Verkehrsverbund“ und „elektronische Amtsgänge von der Heimatgemeinde aus“. Hübsche Pointe, wenn die staatsgefährdende R2G in Thüringen es hinbekäme, während es die sturzvernünftige SPD in Brandenburg zerlegt. Gute Politik: Reform durchziehen und jedem Dorf ein eigenes Nummernschild.
Lösen die Balkonbilder von den Sondierungsgesprächen bei Ihnen auch so viele Assoziationen aus? Romeo und Julia, Evita, Hochzeit von William und Kate?
Das wäre ein Film: Wilhelm II. „kennt keine Parteien mehr“, Scheidemanns Ausrufung der Republik, und Michael Jackson rutscht beinahe sein Baby aus dem Arm am Adlon. Dagegen scheinen die Jamaika-Balkonbilder eher profane publizistische Stechuhr: Wir waren da, wir haben irgendwas verhandelt, es zog sich, es war nicht leicht. Am Ende bekommen die Grünen den Familiennachzug, die FDP eine Minderung des Soli, Horst Seehofer geht als „atmender Dackel“ in die Geschichte oder nicht, jedenfalls: ein. Und Merkel ersitzt sich eine weitere Amtszeit. Hat was von einem langweiligen Vorfilm, nach dem sich auch geduldigere Zuschauer auf den Hauptfilm freuen. Da „Jamaika“, „Schwampel“ und „Kleeblatt“ sich bisher nicht durchsetzen, könnte das wording „Balkonkoalition“ dabei herauskommen.
Das Forbes Magazin hat Angela Merkel zum siebten Mal in Folge zur mächtigsten Frau der Welt gekürt. Eigentlich traurig, oder?
Traurig? Dass nicht Clinton ihr den Rang abjagte, stattdessen Ivanka Trump aufschließt: ja.
Die Zahl der Klagen gegen Asylbescheide hat sich innerhalb eines Jahres verfünffacht. Schaffen wir das trotzdem noch?
Wer Griechenland verhöhnt, man könne mal eben „500 Finanzbeamte schicken“, um den dortigen Schlendrian zu beheben, der kriegt das auch noch hin.
Und was machen die Borussen?
Im WDR „führten die Bayern den BVB vor“ und erlitten die Dortmunder „ein Debakel“. Bei Spiegel Online dagegen war die Borussia „als starker Gegner aufgetreten, der einem etwas besseren FC Bayern nicht ganz das Wasser reichen“ konnte. Jetzt google ich so lange weiter, bis wir gewonnen haben. Für irgendwas muss Lügenpresse auch mal gut sein.
Fragen: Afro, Ekim
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken