Die Wertschätzerin: Lieb und nicht immer teuer

Heide Rezepa-Zabel begutachtet im Museum der Dinge in Kreuzberg mitgebrachte Schätze. Dabei geht es längst nicht immer nur um materiellen Wert.

Oft sind es Erbstücke, die Menschen im Museum begutachten lassen möchten Foto: André Wunstorf

Nicht immer ist es der Mensch, der zum Ding kommt. Oft kommt das Ding zum Menschen. „Eigentlich wollten wir das gar nicht“, sagt Christine Liebe über das alte Kunstwerk, das die Frauenrechtlerin Clara Zetkin zeigt. Gut ein Jahr ist es her, dass Liebe und ihr Mann von einem Flohmarkthändler überredet wurden, die alte Kreidezeichnung in dem kaputten Holzrahmen für fünf Euro zu kaufen. Dabei hat das Bild keinen Platz bei ihnen.

Es muss wohl an der – nicht nur von Walter Benjamin beschworenen – Aura des Bildes liegen, dass die Liebes am Ende doch zur Geldbörse griffen. Seither versuchen sie, das Ding wieder loszuwerden. Bei zwei großen Berliner Museen wurden sie für den Fund zwar beglückwünscht, Zeit und Geld für Expertise gab es dort jedoch nicht. Und so sind sie nun hier gelandet, im Museum der Dinge in Kreuzberg.

Das Werkbundarchiv – Museum der Dinge widmet sich der Dingkultur des 20. und 21. Jahrhunderts. Neben einer zeithistorischen Ausstellung von Dingen, die den Vorstellungen des Werkbunds ent- oder auch widersprechen, gibt es Vitrinen zu einzelnen Aspekten der Gegenstandswelt. Museum der Dinge, Oranienstraße 25, 10999 Berlin, Do.–Mo. 12–19 Uhr. Weitere Infos und Anmeldung zu den Angeboten auf www.museumderdinge.de.

Dr. Heide Rezepa-Zabel lädt an auf der Webseite des Museums veröffentlichten Terminen zu einer Sprechstunde ein. Die Schätzrunde findet in größerer Runde statt und kostet 25 Euro.Zu sehen ist Rezepa-Zabel auch in der TV-Show „Bares für Rares“. Sie läuft werktags im ZDF und ZDF neo und ist online auf www.zdf.de/show/bares-fuer-rares zu finden. (keh)

Hier kann man heute die aus der ZDF-Show „Bares für Rares“ bekannte Sachverständige Heide Rezepa-Zabel antreffen. In einer persönlichen Dingsprechstunde und bei der anschließenden, größeren Schätzrunde schaut sie sich mitgebrachte Objekte an.

Und, ist das Kunst? – „Auf jeden Fall“, sagt Frau Rezepa-Zabel ohne zu zögern. Was folgt, ist eine recht spontane, jedoch äußerst präzise Begründung: Gut gearbeitet sei das Werk, der Duktus zeuge von Talent und handwerklichem Können. Kürzel und Papierart ließen ein privates Blatt vermuten und Zetkins gelöster Blick eine höchst intime Situation erspüren, die vor mindestens achtzig Jahren tatsächlich stattgefunden haben müsse. „Das ist alles in die Waagschale zu werfen.“

Ob die glücklichen Finder das Porträt in einem Auktionshaus zu Geld machen können, muss sich jedoch erst zeigen. Denn der Markt stellt andere Fragen an das Werk: „Wie viele Bilder sind sonst noch von ihr unterwegs? Und wie groß ist das Publikum für solche Sachen?“

Dass ein Ding nicht allein nach seinem Sachwert, sondern auch und vor allem nach dem Tauschwert bemessen wird, das weiß man nicht erst seit Marx. In der Praxis hat das zum Beispiel zur Folge, dass große Kunst ohne Signatur liegen bleibt, während weniger gute, aber signierte Werke großen Absatz finden. Rezepa-Zabel: „Das hat auch was mit Spieltrieb zu tun, mit Zocken. Das treibt mehr Menschen um als solche, die bereit sind, sich wirklich auf Kunst einzulassen. Viele Antiquitätenhändler sprechen sogar von Antique Gambling.“

Aber auch Angebot und Nachfrage entscheiden nicht allein über den Wert der Dinge

Aber auch Angebot und Nachfrage entscheiden nicht allein über den Wert der Dinge. „Man kann nicht in ein Geschäft gehen und sagen, ich möchte das verkaufen, bitte nennen Sie mir einen realistischen Marktwert. Nein, das sind immer Interessenswerte, die da vermittelt werden.“ Händ­le­r*in­nen wollen verdienen – weshalb es zumindest bei hochwertigen Dingen sinnvoll ist, jemand Unabhängiges dazwischenzuschalten. „Es gibt viele Leute, die wirklich keine Ahnung haben, was sie da geschenkt bekommen haben. Und es gibt viele, viele Händler, die davon sehr, sehr gut leben.“

Tatsächlich sind es nicht selten Erbstücke und Geschenke, die in die Hände von Rezepa-Zabel geraten und auch heute wieder mitgebracht werden. Fast alle der rund ein Dutzend Teil­neh­me­r*in­nen der Schätzrunde haben Schmuck dabei. Und das, obwohl Rezepa-Zabel sich auch in anderen Dingen auskennt.

Um den Wert eines Schmuckstücks zu bemessen, braucht es eine Menge Zeugs: Zu Rezepa-Zabels „Feldinstrumenten“ gehören diverse Geräte, die Edelsteine bestimmen und messen helfen. Wie bei jeder Detektivarbeit braucht es aber vor allem eine gute Lupe. Es sind die kleinen Oberflächenspuren, die die wesentlichen Hinweise auf die Geschichte des Objekts geben. Je nach Tiefe und Art der Kratzer lässt sich das Metall bestimmen. Die Kanten einer Fassung lassen Art und Verarbeitung des Objekts verstehen und damit zeitlich und örtlich verorten. Stempel sind hilfreich, können aber gefälscht sein.

Im Fall eines filigranen Rings benötigt die Exptertin die Lupe nicht. Schon der Glanz des Metalls verrät ihr, dass es sich um Gold handelt. Die Gestaltung lässt sie den Ring auf das beginnende 19. Jahrhundert datieren, denn sie entspricht dem herrschenden Geschlechterbild der Belle Époque: „Das weibliche Ideal war das zurückgenommene Ideal, das dezente.“

Sachverständige Heide Rezepa-Zabel Foto: André Wunstorf

Es ist erstaunlich, wohin Rezepa-Zabel ein einziges Ding führt. Der kleine Diamant in einem Armreif lässt sie von der Mechanisierung der Diamantenproduktion im späten 19. Jahrhundert berichten, der Vollschliff sorgte dafür, dass der Stein im Kerzenlicht feurig brillierte. Kein Zweifel, man hat es hier mit einer Person zu tun, die für das Ding brennt. Und zwar ganz gleich, ob es sich um ein hochwertiges Armband oder einen opulenten Ring mit einem falschen Rubin handelt. „Mit jedem Objekt offenbart sich einem die Welt. Es ist ein Türöffner für weitere Türen, durch die man gehen kann. Und das ist es doch, was uns umtreibt, das Interesse für Menschen, für das Leben, genau das spiegeln einem Objekte doch wider.“

Dies scheinen auch die Teil­neh­me­r*in­nen der Schätzrunde im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen, gebannt hören sie der Expertin zu, stellen Nachfragen, schreiben mit. Eine von ihnen ist schon zum wiederholten Male hier. Sie hat die Schmucksammlung ihrer Mutter geerbt: „Ich hatte nicht mehr die Chance, mit ihr über jedes Teil zu sprechen. Jetzt höre ich mir an, was Frau Doktor dazu zu sagen hat.“

In der Beschäftigung mit den Erbstücken kommt die Frau, die ihren Namen nicht veröffentlicht sehen will, nicht nur der Historie der einzelnen Objekte, sondern auch der eigenen Geschichte näher. Im alltäglichen Umgang mit den schönen Dingen sucht sie den Kontakt zur Mutter: „Ich habe immer gesagt, ich geh nicht auf den Friedhof, aber ich gehe jeden Tag mit ihr los. Da ist meine Mama ganz doll bei mir.“

Damit ist sie an diesem Abend allein. Es fällt auf, dass die Stücke, die unter die Lupe kommen, meist nicht getragen, sondern aufbewahrt werden. Im Fall von Perlen keine gute Idee, wie Rezepa-Zabel erklärt. Ein „ungeheuerlicher Genuss-Luxus“ seien Perlen, als Erbanlage taugen sie jedoch nichts, weil ihr Glanz mit den Jahren verschwinde. Ob es umgekehrt sinnvoll ist, sich von Glanz und Gold zu trennen und „schnelles Geld“ damit zu machen, stellt Rezepa-Zabel jedoch ebenfalls infrage.

Wie Autos verlieren die allermeisten Schmuckstücke schon beim ersten Verkauf drastisch an Wert. Zudem gehen Vorstellung und Wirklichkeit oft stark auseinander. „Das ist durch die Familie gegangen mit den Worten: Das ist ganz viel wert. Weil das glitzert ja. Dafür hat der und der ganz viel Geld ausgegeben.“ Nicht selten endet mit der Schätzung eines Objekts seine Legende.

Noch größer kann die Enttäuschung sein, wenn mit dem Ding noch etwas anderes, Immaterielles bewertet werden soll. „Bei Schmuck, da wollen viele sehen, ist das ein ehrlicher Schenker“, berichtet Rezepa-Zabel. „Und das tut mir dann leid, wenn es nicht so ist, sehr, sehr leid. Muss man sich natürlich auch vorher überlegen, ob man den anderen daran messen möchte.“ Eine heikle Situation, von der die Expertin abrät. „Wenn ich etwas geschenkt bekommen würde, würde ich es nicht unter die Lupe nehmen. Der sehr besondere Moment, die Freude, die Erinnerung, der ideelle Wert zählen viel mehr als der Material- und Marktwert.“

Und so stellt sich am Ende vor allem eine Frage: Was ist mir persönlich lieb und teuer? Um darauf eine Antwort zu finden, muss man kein Experte sein, so Rezepa-Zabel, sondern vor allem eins: offen. Für das Ding und die Welt, die sich in ihm verbirgt. „Kunst geht nicht nur von dem Objekt aus, sondern vermittelt auch Aura, Ausstrahlung, die natürlich auch mit dem Betrachter zu tun hat. Wenn der Betrachter dafür nicht offen ist, dann verpasst er die Kunst.“

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