„Die Walküren“ am Schauspiel Hannover: In die Ferne entrückt
Caren Jeß hat das Libretto von Richard Wagners „Walküren“ neu geschrieben. Ihre witzige Überschreibung verliert in Marie Bues' Inszenierung an Kraft.

Schwarz kostümierte Figuren auf einem schwarz gekachelten Gebirgsbühnenbild im schwarz ausgemalten Bühnensaal. Dort wächst, grünt und blüht nichts mehr. Diese postapokalyptische Szenerie könnte die Welt nach der Klimakatastrophe sein, wie zwei Erzählerinnen/Moderatorinnen/Kommentatorinnen andeuten.
Erdmuth ist beider Name, was sie als Alter Egos der Autorin Caren Erdmuth Jeß ausweist. Die ist genauso und doch ganz anders erlösungswillig als Richard Wagner und blickt mit ihrer Überschreibung seines Librettos „Die Walküre“ nicht nur in mythologische Zeiten zurück, sondern auch in eine dystopische Zukunft voraus.
Personal, inhaltliche Motive, Handlungsstränge übernimmt die 1985 in Eckernförde geborene Dramatikerin von der Oper, deutet aber alles neu. So passen „Die Walküren“ gut ins Finale der Intendanz von Sonja Anders am Schauspiel Hannover, dessen Leitungsteam im Sommer ans Hamburger Thalia Theater wechselt.
In den letzten sechs Jahren war Empowerment das zentrale Thema der Spielpläne – vor allem um weibliche Emanzipation ging es, um starke Frauen, die die Verhältnisse ändern wollen. Und genauso widerborstig bürstete Jeß die Vorlage zurecht – als Abrechnung mit dem „romantischen Nazi“ Wagner, auch wenn er „schweinegeile Sachen komponiert“ hat. Statt ihrer lässt Regisseurin Marie Bues lieber Beats in Electro-Sounds baden.
Die aus dem Nibelungenlied, der Edda und weiterer nordischer Sagen bekannten Walküren waren immer schon amazonenhaft angelegt, aber nie selbstbestimmt, immer nur als Dienerinnen ihres Vaters, des weltmüden, machtgeilen Chefgottes Odin/Wotan. Für ihn sammeln sie tote Helden auf Schlachtfeldern ein und transportieren sie nach Walhalla, wo Teilnehmer des weltvernichtenden Endkampfs Ragnarök gesammelt werden. In Hannover sind die Walküren zwar prachtvoll wie Totenvögel perückt, wollen aber nicht mehr den bossy Papa erfreuen, posaunen vielmehr mit dem Schlachtruf „Hojotoho!“ die Sehnsucht nach Unabhängigkeit, ja: Freiheit heraus.
Herein tapst aber erst mal der tölpelhafte Göttersohn Siegmund (Nils Rovira-Muñoz). Eine arische Blondhaarperücke krönt ihn – wie auch seine Zwillingsschwester Sieglinde (Tabitha Frehner). Bei Wagner leidet sie ohnmächtig an ihrer Zwangsheirat mit dem naturburschigen Macho Hunding, in Hannover ist sie ein rotzig-trotziger Teenie aus der Jetztzeit.
Siegmund mag sie sofort. Sie mag auch ihn – schaltet also fix mal ihren Gatten per Schlafmittel ab und animiert Siegmund zu einem Besäufnis mit Met. „Sieglinde hat ihn mit einem Aphrodisiakum versehen, damit hier endlich nochmal was passiert. Hält ja niemand aus, diese albernen Verrenkungen der Konversation. Man kennt sie doch, diese Situationen, in denen man auf ein gesprächsbeendendes Ereignis hofft. Dass jemand bereit zum Sex sein Hemd aufknöpft“, so die Erzählerinnen.
Also Sex. Dass er inzestuös war, erfährt Sieglinde erst nach der Schwängerung, aber abtreiben soll sie nicht. Denn Superwalküre Brünhilde ahnt im Fötus schon den heranwachsenden Siegfried, den sie als Befreier der Walküren und Erlöser der Welt von der patriarchalen Despotie der Götter vom Schlage Wotans und Wagners ersehnt.
Klar, dass in dieser Deutung nicht Siegmund, sondern Sieglinde das magische Schwert Notung aus der Welt-Esche zieht, die eigentlich alles miteinander verwurzeln soll, hier aber ein längst gefälltes Bäumchengerippe ist. Grell-komisch wird es, wenn Florence Adjidome als Seidenhausschuh Richard Wagners auftritt, dessen Hautausschläge sowie seine Selbstmarketingstrategien verhöhnt und schlussfolgert: „Arbeitet euch nicht an Wagner, arbeitet euch lieber an eurer Rezeption ab.“
„Die Walküren“: Nächste Vorstellungen: 15. 4., 19:30 Uhr, 23. 4., 19:30 Uhr (Einführung 18:45 Uhr, anschließend Publikumsgespräch) sowie 18. 5., 17 Uhr, Schauspielhaus Hannover
Das Aufbegehren gegen herrschende Hierarchien, Zuschreibungen und Erwartungen geben die Walküren als Appell zu eigenverantwortlich solidarischem Handeln ans Publikum weiter. „Im zitternden Spannungsfeld zwischen Möglichkeiten und Wirklichkeiten“ wäre es notwendig, „wenn ihr endlich beginnt“, wird den Menschen im Parkett zugerufen. Wir sollen den machtverheißenen Ring holen, der laut Jeß als Piercing im Bauchnabel des Drachens Fafner prunkt.
Die locker-lustig-schlaue Spielerei mit der Wagner-Oper und die beißende Ironie der Autorin sind beim Lesen wirklich komisch, der Text ist nah am Publikum, näher als die Inszenierung. Im Kammerspielrahmen könnte er forsch-fröhlich funktionieren. In der pompösen Bühneninstallation und der überhöhten Spielhaltung des Ensembles verliert das Stück in Hannover aber leider viel von der Kraft des Wortwitzzaubers, Endzeitfunkelns und den frisch-frechen Gegenentwürfen zu Wagners Kunstpolitik.
Überdeutlich ist der Anspruch des Anders-Theaters, die Selbstwirksamkeit, den Glauben an die eigenen Fähigkeiten wachzukitzeln. Was den Walküren vorbildlich gelingt gegen die Männerwelt der Mythologie von einst und heute.
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