Die Wahrheit: Weiße Strickpullover mit Aggro-Zopfmuster
Beim Cricket gibt es offizielle Mittags- und Teepausen. Das heißt aber nicht, dass es englisch gesittet zugeht. Neues von der Schlägerfront.
C ricket ist eine zutiefst englische Sportart, die mindestens seit dem 16. Jahrhundert betrieben wird. Vereinfacht gesagt, ist es ein Duell zwischen einem Werfer und einem Schlagmann. Nachdem er den Ball weggeschlagen hat, rennt der Schlagmann zwischen Holzstäben hin und her und sammelt Punkte. Fängt ein Feldspieler den geschlagenen Ball jedoch, bevor er den Boden berührt, kann der Schlagmann duschen gehen. Das muss reichen an Regelkunde.
Bei Olympia 1900 in Paris war Cricket sogar eine olympische Disziplin. Die Goldmedaille ging natürlich an Großbritannien. Wenn Cricket 2028 wieder olympisch wird, ist das gar nicht mehr selbstverständlich, denn inzwischen verliert das Team regelmäßig gegen die ehemaligen Kolonien, die das Spiel längst besser beherrschen.
Derzeit finden „The Ashes“ statt, die prestigeträchtigste Cricketserie zwischen den Nationalmannschaften von England und Australien, die traditionell alle zwei Jahre ausgetragen wird. Der Name wurde 1882 geboren, als es nach einem historischen Sieg Australiens auf englischem Boden in einem hämischen Zeitungsartikel hieß, das englische Cricket sei „eingeäschert“ und die Asche nach Australien gebracht worden.
Heutzutage geht es England nicht besser. Im ersten zweitägigen Ashes-Test erlitt England vor gut einer Woche eine vernichtende Niederlage, weil ein Australier „die englische Offensive mit dem zweitschnellsten Ashes-Century aller Zeiten mit nur 69 Bällen zerlegte“, hieß es – leider nur für Insider verständlich – in einer australischen Fachzeitschrift.
Eklat in London
Die Spieler tragen weiße Strickpullover mit Zopfmuster, es gibt offizielle Mittags- und Teepausen. Das heißt aber nicht, dass es englisch gesittet zugeht. Beim letzten Ashes-Test 2023 kam es im Lord’s Cricket Ground in Londons St John’s Wood zum Eklat. Der Marylebone Cricket Club musste drei Mitglieder suspendieren. Der 1787 gegründete Verein ist Eigentümer von Lord’s und bezeichnet sich selbst als Hüter der Spielregeln. Der Namensgeber des Stadions ist Thomas Lord, ein Cricketprofi aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Der Long Room im Lord’s ist in der Welt des Crickets ungewöhnlich, da die Spieler auf einem schmalen Weg zwischen dem Spielfeld und der Umkleidekabine dicht an den Mitgliedern vorbeigehen müssen. Und die verhielten sich wie Fußballhooligans, eine andere englische Erfindung.
Die Security musste die drei Mitglieder davon abhalten, die australischen Spieler und Betreuer, denen sie unfaires Verhalten vorwarfen, zu vermöbeln. Zwei Mitglieder wurden erst mal gesperrt, einer wurde aus dem Club geworfen. Jetzt, zwei Jahre später, soll er begnadigt werden. Er verdiene eine zweite Chance, heißt es. Die hat das englische Team theoretisch auch: Am 4. Dezember geht es mit dem zweiten Ashes-Test in Brisbane weiter.
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