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Die WahrheitWildunfälle im Keller

Endlich kann in Deutschland der Führerschein ganz entspannt am Fahrsimulator gemacht werden, allerdings mit einem kleinen, straßenungerechten Problem.

Die Zeiten realer Fahrschulfahrten sind zum Glück vorbei Foto: dpa

Wenn jetzt morgens in seinem Hobbykeller immer dieses leise Summen erklingt, beginnt für Bastian Nehl das, was er „meine tägliche Fahrt zur Arbeit“ nennt. Dabei verlässt der 27-jährige IT-Spezialist sein Haus in Buchholz in der Nordheide keine Sekunde. Denn „Basti der SimMobilist“, wie ihn die Heimatpresse feiert, ist Deutschlands erster Fahrschüler, der seine gesamte praktische Ausbildung und auch die praktische Prüfung auf einem Fahrsimulator absolviert hat.

Der so erworbene Führerschein erlaubt Nehl ausschließlich simuliertes Fahren. Mit einem Kfz am realen Straßengeschehen teilnehmen darf er nicht. Macht aber nichts: „Zur Arbeit im Homeoffice pendele ich jetzt einfach im Keller.“ Für die realen Wege draußen nutzt er sein Lastenrad. Und selbst wenn mal Größeres zu transportieren ist, sieht er keinen Nachteil: „Im virtuellen Kofferraum meines Simulators kann ich problemlos drei Waschmaschinen verstauen.“

Die Einführung der „Klasse S“ (wie Simulator) war die erfreulich zügig umgesetzte Reaktion von Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) auf die verstörend hohen Durchfallquoten bei Fahrprüfungen. Immer mehr Prüflinge scheiterten – wenn nicht an der überfrachteten Theorie, dann an der nervenaufreibenden Praxis. Gut gemeinte Tipps, wie die legendäre Empfehlung des Ex-Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU), bei drohendem Durchfall doch einfach ein paar Kohletabletten zu nehmen, vermochten daran wenig zu ändern.

In der Klasse S ist jetzt alles einfacher. Die theoretische Prüfung konzentriert sich auf Situationen, wie sie nur bei Simulatorfahrten auftreten können – etwa wie man sich bei einem plötzlichen Stromausfall verhält oder was zu tun ist, wenn Verkehrszeichen unscharf nachladen. Das ganze lästige Fragenpaket zu Achslasten, Reifentypen oder Sonderausstattungen wurde vollständig gestrichen.

Leicht geruckelt

„Es geht wieder mehr um das Wesentliche“, freut sich Claus-Hinrich Ellerbrake, der Bastian durch die Ausbildung begleitete. „Er hat die S-Prüfung wirklich gut gemeistert“, erinnert sich der 57-jährige Fahrlehrer. Lediglich beim Rückwärtseinparken habe „die Maschine leicht geruckelt“, was der amtliche Prüfer, der über VPN zugeschaltet war, als kleinen Fehler wertete.

Für Fahrlehrer Ellerbrake ist die Umstellung nicht groß. Während er sonst die Übungsfahrten als Beifahrer überwacht, begleitet er seine S-Kandidaten vom Schreibtisch aus über einen Kontrollmonitor, der sämtliche Umgebungsdaten und Blickrichtungen in Echtzeit überträgt. „Man schwitzt trotzdem“, schmunzelt er. „Nur eben anders.“

Der 35.000 Euro teure Simulator, den sich Bastian Nehl „als Belohnung für den Lappen“ gegönnt hat, stammt aus der Wolfsburger Simulatorschmiede GhostCar – „der Porsche quasi“, behauptet sein stolzer Besitzer. Tatsächlich verfügt sein XXP 2.0 über eine beeindruckende Bandbreite an Funktionen. Neben detailreicher Fake-Physik und hochauflösender Darstellung kann man beispielsweise diverse Geräuschprofile zuschalten: von Kavalierstart bis Tunnelfahrt. Ein Weather-Plug-in erzeugt Ereignisse wie heftigen Schneefall, wechselnde Seitenwinde oder Starkregen mit Aquaplaning. Selbst Wildunfälle lassen sich akustisch abbilden, wobei der Aufprall der Tiere mit sanfter Trauermusik unterlegt wird.

Alle Verkehrssituationen lassen sich aufrufen: dichter Berufsverkehr genauso wie „Achtung Sonntagsfahrer“ oder eine herausfordernde Kurvenfolge mit wechselnden Fahrbahnzuständen und kreuzenden Fußgängern. „Man kann mit wenigen Klicks Umgebungen fahren, die man in echt nie überleben würde“, meint Bastian Nehl.

Schambefreit autogeil

Ob er das reale Autofahren nicht vermisse? Nehl verneint, ohne zu zögern. Ihm ginge es wie den meisten vor allem um den Fahrspaß. Und der ließe sich im Simulator viel eindrücklicher erleben. Und überhaupt: „Diese Sache mit diesem Von-A-nach-B-Gelangen, ist doch eh nur ein Vorwand für die schambefreite Autogeilheit, die Kfzler antreibt“, lacht er.

Echter Straßenverkehr sei ihm überdies viel zu gefährlich: „Die ganzen Irren, die da angeblich immer ganz schnell zur Arbeit müssen.“ Da entscheide er sich lieber für seinen Arbeitsweg im Keller. „Die perfekte Selbsttäuschung. Die aber verdammt viel Spaß macht.“

Wie weit der Spaß geht, lässt sich noch nicht sagen. Umfragen zufolge zeigen sich Führerscheinaspiranten grundsätzlich offen – wegen der geringeren Ausbildungskosten. Kanzler Merz erwägt, Pkw-Simulatoren mit einer Kaufprämie zu fördern. Ziel sei es, die heimischen Hersteller zu stärken und den Straßenverkehr zu entlasten.

Im Hobbykeller indes bleibt es tagsüber ruhig. Doch wenn Bastian Nehl nach Feierabend wieder in sein GhostCar steigt und der Screen sich in die Ostumgehung von Buchholz verwandelt, beginnt für ihn erneut eine Fahrt in eine Welt, die in vielem – siehe Ostumgehung – längst realistischer ist als die echte.

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