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Die WahrheitDer allererste Legostein

Die Wahrheit-Sommerserie „Wahre Originale“ (1): Von der gar hölzernen Geschichte eines dänischen Unikums.

Legospielerfinder Tyge mit dem Premierenholzstein Foto: AP

Es gibt Menschen oder Dinge, die sind einzigartig. Wahre Originale oder Unikate. Die herausragen aus dem flachen Tal des grauen Alltags. Und dennoch nicht sofort in ihrer außergewöhnlichen Schönheit oder überraschenden Wirksamkeit erkannt werden. Aber dafür gibt es ja die Wahrheit. Die einige Exemplare dieser irisierenden Ausnahmeerscheinungen ins strahlende Licht der Wahrnehmung rückt.

Ich bin im Besitz des ersten originalen Legosteins! Der ist noch aus Holz und uralt. Er stammt aus dem Erbe eines entfernten dänischen Verwandten, dem einmal fast beide Ohren abgeschnitten wurden, weil er sich auf einem Kindergartenfest als Norweger ausgegeben hatte – damals war er schon drei Jahre alt. Sein weiteres Leben verlief zunächst unauffällig: Seine Eltern verkauften ihn an einen usbekischen Wanderzirkus – das war zu der Zeit in Dänemark normal –, in dem er sich als lebende Kanonenkugel verdingen musste. Dann wurde er, angetrieben von seinem künstlerischen Ehrgeiz, Porträtmaler. Sein Name war übrigens Tyge.

Bild: Rattelschneck

Tyge malte also Porträts, als gäbe es kein Morgen. Er malte Witwen und Waisen, Henker und Schlenker und einfach alles, was nicht pünktlich bei drei auf den Bäumen war. Dadurch scheffelte er sich einen enormen Reichtum an. Doch das alles befriedigte ihn nicht. Woher ich das weiß? Ich habe im Keller eines verrotteten Schuppens ein altes Tagebuch gefunden, in dem alles steht!

Nachdem seine Zeit als Porträtmaler abgelaufen war, begann er eine Eieruhr-Designerausbildung zu machen, doch die Berufsschule kotzte ihn an. Ab da wird das Tagebuch undeutlich, ich kann mir die folgenden Geschehnisse nur zusammenreimen: Tyge wird vermutlich ein Schiff gebaut haben, um Wikinger zu bekämpfen. Nachdem alle Wikinger tot waren, wollte er möglicherweise nach einer neuen Herausforderung suchen, wurde aber von seiner Muhme Yrsa auf eine Reise geschickt, von der er erst 20 Jahre später ausgemergelt und ohne Gedächtnis zurück kehrte. Doch das war erst der Anfang …

Endlich eine sinnvolle Aufgabe

Als Tyge in die Jahre kam, damals war er 25, besann er sich. Weil er sich eh an nichts erinnern konnte, war ja alles egal, und er beschloss, Multimillionär zu werden. Endlich eine sinnvolle Aufgabe! Schnell gründete er eine Familie und ein paar ertragreiche Fabriken, damit seine Kinder auch was davon hatten. Dann holzte er zunächst mal die norwegischen Wälder ab. Aber nur zu einem Viertel und eigenhändig.

Er wusste aber nicht, was er mit den ganzen Baumstämmen anfangen sollte und verschenkte sie großzügig an ein rumänisches Kinderheim. Nur einen kleinen geheimnisvollen Ast behielt er für sich, und der sollte später noch eine enorme Bedeutung bekommen. Doch zunächst weiter in Tyges Geschichte.

Als das Multimillionär-Dasein begann, ihn zu langweilen, schloss er sich einer Horde wilder Piraten an. Freilich nicht ganz freiwillig, denn er wurde in einer düsteren Spelunke, in der man ihn zuvor mit billigem Rum betrunken gemacht hatte, schanghait. Der Anführer der Piraten hieß Matti, und er wurde von allen verehrt und gepriesen. Es dauerte jedoch nicht lange, bis die Piraten Tyge auf einem einsamen Eiland aussetzten. Hier war er nun auf sich allein gestellt.

Wasser und Essen gab es nicht, also musste er da schnellstmöglich wieder weg. Und da kam ihm eine Blitz-Idee: Was wäre denn, wenn er aus den vielen Palmen auf der Insel kleine Klötzchen schnitzen würde – ein Taschenmesser hatte er dabei –, die so raffiniert ineinander passten, dass man daraus ein Floß bauen könnte?

Schnell rief er seinen alten Freund Ole Kirk Christiansen an – ein Handy führte er ebenfalls mit sich – und erzählte ihm von diesem klugen Gedanken. Ole war sofort begeistert. Gesagt, getan! Tyge, mein entfernter Verwandter, dem beinahe mal beide Ohren abgeschnitten wurden, entkam der Inselhölle und gründete mit Ole zusammen ein weltumspannendes Klötzchen-Imperium. Die beiden nassforschen und etwas esoterisch angehauchten Halunken nannten es LEGO (Luzide Einsicht Gegen Osmose).

Und ihr erstes originales und selbst geschnitztes Klötzchen vererbten sie mir! Die Geschichte des geheimnisvollen kleinen Astes, den ich als Tyges Erbin jetzt auch stets mit mir herumtrage, soll an einem anderen Ort erzählt werden. Und zwar im Original!

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