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Die WahrheitDie Feuerlöschziegen von Dublin

Wenn Irische Ziegen auf Stechginster starren: Nicht immer ist die erste ökologische Lösung die ökologischste.

B illy war wütend. Seine Ziege hatte seinen Pullo­ver, den er zum Trocknen auf die Wäscheleine gehängt hatte, zernagt. Es war ein Totalschaden. Dabei hatte er die beiden Ziegen am anderen Ende des Gartens angepflockt, aber eine Ziege hatte das Seil der anderen durchgebissen.

Ziegen haben in Irland eine besondere Stellung. In Killorglin im Südwesten der Insel wählen sie jedes Jahr im August einen König – einen Ziegenbock, der zwei Tage lang regiert. Und in Dublin grasten früher auf den Brachflächen in der Innenstadt Ziegen, bis der verhängnisvolle Bauboom begann, der Irland vorübergehend an den Rand des Bankrotts brachte.

Inzwischen setzt man Ziegen zur Brandbekämpfung auf der eigentlich recht feuchten Insel ein. Vor ein paar Jahren brannte Stechginster im Dubliner Vorort Howth sechs Wochen lang, bevor die Feuerwehr die Sache unter Kontrolle bringen konnte. Jetzt werden wilde Ziegen einer vom Aussterben bedrohten Art genutzt. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war die Old Irish Goat weitverbreitet, doch die Rasse verschwand beinahe aufgrund von Kreuzungen mit importierten Ziegen. Die Tiere sollen den Ginster fressen, sodass das vegetationslose Gebiet zu einer Brandschneise wird. Der Stadtrat finanziert das Projekt.

Zäune werden nicht gebraucht. Stattdessen hat man den Ziegen GPS-Halsbänder umgehängt, die einen Alarm auslösen, wenn sich ihre Trägerinnen der virtuellen Grenze nähern. Die Tiere seien sehr gelehrig, sagt Melissa Jeuken, die für die Ziegen zuständig ist. „Sie wissen, dass sie noch 19 Sekunden Zeit haben, um zu fressen, sobald der Alarm ertönt.“ Und dann trifft sie der Schlag?

Öko-Analphabeten!

Der Ökologe Eoghan Daltun hält die Feuerlöschziegen für den „Gipfel des ökologischen Analphabetismus“. Ganz Irland sei einst mit Regenwäldern und Mooren bedeckt gewesen, sagt er. „Es ist eine bessere Lösung, die Wälder nachwachsen zu lassen, als jedes Jahr Ziegen einzuführen. Wenn man den Platz zubetonieren würde, erreichte man das Gleiche, und es wäre auch nicht viel schlechter für die Artenvielfalt.“

Was aber soll dann aus den Ziegen werden? Aus den ursprünglich 25 Tieren in Howth sind binnen zwei Jahren 100 Stück geworden. Es droht eine Ziegenplage. Aber es gibt eine Lösung: Auf der US-Website ­BookYourHunt kann man eine Jagd buchen und für 2.362 Dollar einen Tag lang Wildziegen in Irland abknallen. „Wir haben Zugang zu einer gesunden Menge an Tieren und sind die alleinigen Besitzer der Jagdrechte in dem gesamten Gebiet“, heißt es in der Werbung.

Eine gute Idee, findet Billy, der mit seinem Namen hadert, denn „Billy Goat“ ist die englische Bezeichnung für einen Ziegenbock. Billy hat sich inzwischen nicht nur von seinem Pullover, sondern auch von seinen beiden Ziegen verabschiedet. Aus dem Internet hat er sich ein Rezept für ein rotes Ziegencurry heruntergeladen.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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