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Die Wahrheit„Wer will schon direkt morgens sein totes Kind channeln?“

Das ultimative Wahrheit-Interview mit Manifesta Mortura, Deutschlands allererstem Medium für die Generation Z.

Manifesta Mortura telefoniert in Berlin täglich mit den Toten Foto: snapshot-photography/Tobias Seeliger

Laut der 67-jährigen Manifesta Mortura, bürgerlich Antonia Ziebetzki, hat uns „das Schicksal“ zu ihr geführt. Wie auch immer: Das auf Geister aus der jungen Generation Z spezialisierte Medium zieht uns so energisch wie energetisch in ihren mit Krimskrams zugestellten Kreuzberger Altbau.

Manifesta Mortura: Ich hatte Sie bereits erwartet.

taz: Ja, sorry. Der Verkehr war wie verflucht.

Das liegt an diesen elenden Pendlern!

Also, Frau Mortura …

Ich beschwöre Sie! Sagen Sie doch Mortura, Betonung auf dem o.

Natürlich. Also, Frau Mortura, wie sieht ein normaler Arbeitstag für Sie aus?

Nun, ich stehe auf, füttere meine Katzen, und dann spreche ich mit den Toten. Nach der Arbeit gucke ich gerne „X-Factor: Das Unfassbare“. Zum Runterkommen.

Also fast ein normaler Nine-to-five-Job?

Eher five to nine. Wer will schon direkt morgens sein totes Kind channeln? Außerdem kommt zumindest im Winter Kerzenlicht im Dunkeln deutlich besser.

Verständlich. Sagen Sie uns: Was unterscheidet Ihre Arbeit von der anderer Medien?

Geister tauchen ja bekanntlich da auf, wo sie „unfinished business“ haben. Bei jungen Verstorbenen sind das eben meist nicht Irrenanstalten oder verfallene Villen – Immobilien können die sich ja oft noch nicht leisten –, sondern die sozialen Medien. Ein nicht gesendetes Reel, ein nicht geliktes Meme und – zack! – Verdammung in die Zwischenwelt.

Man könnte Sie also als Soziales-Medium-Medium bezeichnen?

Nicht nur, aber auch. Soll ich Ihnen mal zeigen, wie ich arbeite? Kennen Sie einen jung verstorbenen Menschen, mit dem Sie gerne reden möchten?

Tatsächlich ja. Eine gute Freundin verlor ich nach der Uni aus den Augen. Als ich sie wiedersehen wollte, erfuhr ich, dass sie bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.

Das klingt doch perfekt! Lassen Sie mich mal machen …

Mortura zieht ihr Handy aus der Tasche und legt es auf den niedrigen Eichenholztisch zwischen uns. Sie ruft die Welt der Lebenden und die Welt der Toten an, zwischendurch auch eine zahlungssäumige Kundin. Nach ein paar geraunten Beschwörungen und Handbewegungen, für die durchschnittliche Fußballer sofort gecancelt worden wären, erscheint tatsächlich eine junge, schreiende Frau in altertümlichen Kleidern auf dem Bildschirm: „Huuuuhhhh, mein Mann brachte mich mit einer rostigen Axt um! Rächt mich! Und füttert meinen Sauerteig!“ Mortura wischt das Match mit der Totenwelt schnell weg.

Entschuldigung, da muss eine Tradwife reingerutscht sein. Kommt in der Generation Z vor. Vielleicht hat Ihre Freundin, junger Freund, den Anruf aber auch einfach ignoriert. Die jungen Leute chatten ja lieber.

Weil hier das Wort „Tradwife“ fiel: Wie kommunizieren denn Eltern und Kinder, die schon zu Lebzeiten oft in anderen Welten lebten?

Und es jetzt noch mehr tun, ja. Da habe ich eine Übersetzerrolle. Wenn das Kind zum Beispiel sagt, da wo es jetzt ist, sei es „fire“, denken Ältere schnell an die Hölle. Dabei meint „fire“ eher das Gegenteil.

Nicht viele junge Menschen sterben. Haben Sie keine Angst, dass Ihnen die Kunden aus­gehen?

Klar, leider sterben nicht viele Menschen jung. Aber die, die es tun, haben viel öfter noch was mit den Lebenden zu regeln.

Zum Beispiel?

Neben den üblichen Gründen für ein Verbleiben in der Zwischenwelt – Rachegelüste, unerwiderte Liebe, Gucken, was Trump noch so macht – ist bei meinen Kunden oft Ghosting der Grund.

Ghosting? Also mit jemandem unvermittelt den Kontakt abbrechen?

Genau. Wer stirbt, während er oder sie geghostet wird, kommt zurück und ghostet den anderen eben aus dem Afterlife. Betroffene berichten von einem konstanten Gefühl, versetzt worden zu sein. Ganz übel.

Was hilft dagegen?

Eben zu mir kommen, den Toten channeln, sich einmal vorwerfen lassen, man sei narzisstisch und toxisch. Wenn das nicht reicht, ist die Seele des Verstorbenen leider lost.

Das klingt ja noch recht harmlos. Haben Sie auch schon Aufträge ablehnen müssen?

Alles, was mit dummen Kindern zu tun hat. Das ist mir einfach zu lahm: Haben die Blagen vor ihrem Ableben nicht „big boobs“ aus ihrer Google-Suche gelöscht oder nicht genug Energy getrunken, meinen sie nachher, das wäre Grund genug für eine Heimsuchung.

Kritiker werfen Ihnen Scharlatanerie vor. Profitieren Sie nicht vom Leid trauernder Eltern?

Wenn alles verboten wäre, was mit leichtgläubigen Menschen Kasse macht, wäre der Kapitalismus am Ende. Davon abgesehen habe ich viel Geld manifestiert und dann meine Kräfte bekommen. Ein eindeutiger Wink des Schicksals.

Auch wenn es nicht Ihr Fachgebiet ist: Was sehen Sie für Ihre Zukunft vorher?

Eine KI-Revolution. Die GenZ wird immer selbstständiger, schon jetzt sehe ich immer mehr Fälle besessener Chatbots, über die die jungen Toten dann einfach selbst kommunizieren.

Eher düstere Aussichten.

Na ja, vielleicht kommt ja noch ein großer Krieg. Gefallene Soldaten, trauernde Witwen mit Eso-Fimmel, das wäre ein Traum. Alternativ arbeite ich gerade an meiner Hunde- und Meerschwein-Imitation. Tote Haustiere sind noch eine Marktlücke.

Manifesta Mortura, vielen Dank für diesen geistreichen Austausch.

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