piwik no script img

Die WahrheitHirnmuskelspiele auf dem Gedankenstrich

So schwach die Interpunktion der Tochter ist, so rigoros urteilt die Vierzehnjährige über einen tödlichen Punkt in einer sehr kurzen Kurznachricht.

U lf Poschardt hat in seinen Hirnmuskel „40 Jahre lang voll reininvestiert“ und kann deshalb mit Fug von sich behaupten: „Ich bin sozusagen in der Hirnmuckibude echt stark.“ Ich hingegen habe, ebenfalls sozusagen, 40 Jahre zerebral offenbar nur auf Pfandbriefe und Kommunalobligationen gesetzt. Vermutlich verliere ich deshalb allmählich den geistigen Anschluss an die Gegenwart.

Neulich jedenfalls antwortete ich meiner Vierzehnjährigen per WhatsApp auf ihre Frage nach einer Erhöhung des Taschengelds mit einem lapidaren „Okay.“ Es war wie der Tritt auf eine Landmine, das Kind tödlich beleidigt. Ich sei, bezichtigte sie mich, „passiv aggressiv“ drauf und „nur noch peinlich“.

Warum? Lag’s an meinem nonchalanten „Okay“, an der wortkargen Knappheit meiner Antwort? In Literaturkritikerkreisen wird Sparsamkeit im Ausdruck doch stets als „Lakonie“ bezeichnet, und das nie, niemals ohne den Zusatz „herrliche“! Lag’s etwa an dem Wort „Okay“, das möglicherweise in Ungnade gefallen ist und, wäre es ein Politbüromitglied unter Stalin, längst im Keller der Lubjanka per Genickschuss hingerichtet worden wäre? Nein.

Es lag, wie sich nach einem stundenlangen Schauprozess herausstellte, am Punkt. „Okay“ wäre okay gewesen, „okay.“ hingegen war eindeutig sittenwidrig. Je kürzer der Satz, desto schlimmer der Punkt. Steht er hinter einem einzelnen Wort, handelt es sich im Milieu der Vierzehnjährigen beinahe schon um einen körperlichen Angriff, mindestens um fiesestes Mobbing.

Warum? Weil der Punkt beendet, was in der Schwebe bleiben sollte? Weil der Punkt für ein patriarchales „Basta!“ steht? Weil der Punkt erstmals im 9. Jahrhundert auf der Stele auftaucht, mit der ein König namens Mescha von Moab einen Sieg über Israel feiert, und damit im Grunde als antisemitisch zu werten ist? Meine Tochter begründete ihre kategorische Ablehnung anders: „Ist halt so!“

Was ist mit dem Doppelpunkt? Ist der doppelt so schlimm? Und die ins Ungefähre auslaufende Abfolge dreier Punkte … gleich dreifach so fürchterlich? Was ist mit dem Semikolon, bei dem bekanntlich ein Punkt ein Komma krönt? Und muss ich mich über derlei belehren lassen von einem Mädchen, das „Kommas“ zu Kommata sagt und, sie setzt wie, es, ihr gerade, in den Sinn? Kommt? Fragzeichen!

Mein Lieblingssatzzeichen ist übrigens der Halbgeviertstrich, nicht zu verwechseln – aber gerade in WhatsApp-Chats gern verwechselt, weil da bis auf den Punkt einfach alles schon egal ist – mit dem kürzeren Bindestrich. Mit dem Halbgeviertstrich kann man alles Mögliche machen, sogar bittere Witze.

Eine prekär als Philosophin lebende Freundin von mir ist ebenfalls echt stark in der Hirnmuckibude, schwingt sich trotzdem tarzanmäßig von befristeter Stelle zu befristeter Stelle und sagt deshalb über sich: „Ich gehe auf den Gedankenstrich.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Inlandskorrespondent
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Keine Sorge. Sie bleibt nicht 14 und die Rezeption von Satzzeichen wird sich ändern. Habe ich bei meinem Kind auch so erlebt.

  • ¿

  • Das ist voll die Härte! Hoffentlich kann Arno Frank Stärkung darin finden, dass er eine wirklich herzzerreißende Geschichte geschrieben hat. Ja - doch! Ich meine dass Vaterherz, auch wenn ich mich nur sentimental ausdrücken kann.



    Im Ernst: Da kommt "viel rüber" und bleibt gedanklich hängen. Muß die Storry einer Freundin schicken, die mit solcherlei sogar durch auch geplagt wird.

  • Herrlich - Mit Bedankenstrich.



    Assoziationen, die sich lohnen.



    de.wikipedia.org/wiki/Lakonisch



    „Wenn"



    --



    Um es auf den Punkt zu bringen,



    Hilft ALTes Wissen beim Gelingen:



    Als Beispiel mal ALT250 ····



    --



    „She said, ,Hey, babe, take a walk on the wild side'



    I said, ,Hey, honey, take a walk on the wild side' "



    www.youtube.com/watch?v=oG6fayQBm9w



    („… And the colored girls say



    Doo, doo-doo, doo-doo, doo-doo-doo



    Doo, doo-doo, doo-doo, doo-doo-doo



    Doo, doo-doo, doo-doo, doo-doo-doo



    Doo, doo-doo, doo-doo, doo-doo-doo)"

    • @starsheep:

      Da - wollt ich schon grad -



      Doch da - welch Gnad - ist alles schon - parat.



      Halbgeviertstrich - der liebste - ja - auch mir -



      Doch - Halbgeviertstrich - nich - grad ich -



      Welch - Lakonie - und wie -



      Mir - ungenant - bis dato - unbekannt -



      Nur - dess - wer? - von wem? -



      Find - nicht - dess - Gedicht -



      Wegen - dem: — muß ich - die Schwester -



      Nochmal - fragen - mein - Bester - 🙀🥳🧐 -

  • „Ich gehe auf den Gedankenstrich.“



    ----



    "Okay."

  • ...und auf dem Gedankenstrich -



    tobt ein arger Wüterich!



    ___

    Keine schöne Perspektive (auch nicht für literatürliche Personen)