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Die WahrheitIn Unterhosen durch den Sturm

Seit dem Sommer toben Schlechtwetter über die grüne Insel. Wäre Irland Brandenburg, wären die irischen Pfützen Badeseen mit großen Fischen drin.

J etzt ist es aber genug. Vorvergangenes Wochenende fegte bereits der vierte Sturm in diesem Winter über Irland hinweg und kappte bei 500.000 Haushalten den Stromanschluss. Ich höre Einwände, dass der kalendarische Winteranfang erst am 21. Dezember 2024 um 10.19 Uhr sei. In Irland arbeiten wir aber mit dem keltischen Kalender. Bei dem beginnt der Winter mit dem Mondfest Samhain, und das wird in der Nacht auf den 1. November gefeiert.

Im Grunde regnet es bereits seit Anfang Juli, die Straßen sind ständig überflutet. In Brandenburg würde man aus irischen Pfützen Badeseen machen. Angeblich findet man darin bisweilen beachtliche Fische. Die Fremdenverkehrszentrale hat ausländischen Touristen Schweigegeld angeboten, damit Besucher weiterhin ahnungslos auf die Insel kommen. Sie sollten sich aber davor hüten, einen bestimmten französischen Kleinwagen zu mieten, denn bei dem liegt der Luftansaugstutzen knapp über dem Asphalt – also im Wasser. Ein Schluck davon, und der Motor ist hinüber.

Manche Menschen finden es romantisch, wenn sie vor einem lodernden Torffeuer sitzen, während der Regen gegen die Scheiben prasselt. Sie nennen es auf Neuenglisch „Hygge“, aber Hygge ist so mausetot wie der sprichwörtliche dänische Türnagel, wenn man neben zwei Eimern sitzt, die das Wasser auffangen, das aus der Deckenlampe tropft, weil das Dach undicht ist.

Unsere Versuche, den Regen nach dem Vorbild von Linus aus den „Peanuts“ zu stoppen, schlugen fehl: „Regen, Regen gehe fort, geh an einen anderen Ort“, hatte er gereimt, und schlagartig hörte es auf zu regnen. Bei uns wurde aus dem Regen wie zum Hohn ein Wolkenbruch.

So schauten wir uns lieber Rudi Carrells Lied „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ von 1975 mit der irgendwie hellseherischen Textzeile „Heute sind die Braunen nur noch Weiße“ auf Youtube an, um uns aufzumuntern. Das klappte vorübergehend, denn das Video mit Carrell auf einem Fass in einem Swimmingpool, umgeben von acht jungen Frauen in roten Badeanzügen, ist grandios.

Irgendjemand zeigte uns dann einen Zeitungsartikel von Justine McCarthy über „Lagom“. Das schwedische Wort beschreibt das richtige Maß, nicht zu viel und nicht zu wenig, die ideale Balance, zum Beispiel zwischen Sonne und Regen. Die Schweden freuen sich, wenn das Wetter im Urlaub lagom warm ist, heißt es.

„Um ein Lagom-Zuhause zu schaffen“, schreibt McCarthy, „muss man im Grunde nur die Familie und die Möbel rausschmeißen und alles durch eine niedrige graue Couch, einen Öko-Ofen und eine neutrale Bodenmatte ersetzen, auf der man sich in Achtsamkeit üben kann.“ Ich arbeite dran. Und dann gebe ich mich „Kalsarikännit“ hin, einer finnischen Entspannungstechnik. Es bedeutet so viel wie „sich in Unterhosen daheim alleine betrinken“.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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