Die Wahrheit: Zu heiß gebadet
Eine bayerische Heiltherme und ihre Weisheit verbreitendes Wasser. Hier können alle schlau werden wie ein Bergkristall. Oder dumm wie ein Stein.
U rlaubszeit, Reisezeit, fremde Kulturen und Gebräuche entdecken – auf nach Bayern also. Den Besuch wollen wir in der Königlichen Kristalltherme ausklingen lassen. Dort kann man in 38 Grad warmer Salzlake im Freien dümpeln. „Die Architekten“, lese ich, „haben aus König Ludwigs Schlössern Höhepunkte der Gestaltung übernommen und eine Therme höchster Badekultur geschaffen“. Eine Wohlfühltherme nach Motiven eines Königs, der im knietiefen Wasser eines Sees ersoffen ist. Wellness pur, bayerisches Stilbewusstsein.
In der Poolbar bestelle ich ein bayerisches Bier, das man im 35 Grad warmen Wasser trinken kann. Das „nach der Heilslehre der Hildegard von Bingen mit Grander-Technologie aufbereitet“ und daher, so die Hinweistafel, „über Edelsteine und Bergkristalle“ geleitet wird.
Überhaupt ist man ganz aus dem Häuschen über sein Granderwasser. Aber was zum Teufel ist Granderwasser? Folgendes: „Grander-Wasserbelebungsgeräte bestehen aus einem stark belebten Wasserkern in einem schwach magnetisierten Metallgehäuse. Durch das Zusammenspiel ist der Wasserbeleber in der Lage, natürliche Impulse auf das Wasser zu übertragen, ohne selbst damit in Berührung zu kommen.“ Klingt hochseriös, ebenso wie Hildegard von Bingens Erkenntnisse zur Energetisierung von Wasser. Das lernt nämlich von den Kristallen, über die es fließt, und nimmt dieses Kristallwissen in sich auf, was sich wiederum auf die Menschen überträgt, die darin sitzen und Bier trinken, also auf mich.
Ich begrüße das, ich wollte immer schon von Bergkristallen lernen. Das muss dieses Bayern-Abitur sein, von dem immer alle schwärmen. Hildegard von Bingen ist immerhin eine Heilige und wurde von Benedikt XVI., also unserem Ratzepapst, zur Doctor Ecclesiae universalis erklärt. Denn sie hat der Welt wichtige Weisheiten geschenkt, auch zur richtigen Ernährung: „Erdbeeren verursachen gleichsam einen Schleim im Menschen, der sie isst, und sie taugen weder dem gesunden noch dem kranken Menschen zum Essen, weil sie nahe an der Erde wachsen und weil sie sogar in fauliger Luft wachsen.“ Bodenständig und in fauliger Luft – Erdbeeren sind die Berliner unter dem Obst! Igitt!
Etwas beunruhigt mich die neue Erkenntnis, dass Wasser von allem lernt, um das es fließt, also auch von meinen Mitbadenden. Zu meiner Rechten erzählt eine cocktailschlürfende mittelalte Frau gerade ihrer Freundin, dass sie plane, ihren Lebensunterhalt nun als Heilstein-Influencerin zu bestreiten. Sie sagt tatsächlich „Heilstein-Influencerin“. Während das Wasser von der Decke über eine große Bergkristallsäule läuft und dabei schlauer und schlauer wird.
Aber mein Bier ist alle, ich verlasse den Pool mit dem bayerischen Klugscheißerwasser. Morgen geht es zurück nach Berlin. Dort werde ich mich der nächsten kulturellen Herausforderung stellen und endlich zu einer dieser Erdbeeren von „Karls Erdbeerhof“ gehen. Ich fühle mich jetzt bereit.
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