Die Wahrheit: Europameisterin im Sofahüpfen
Die Fußball-EM führt zu außergewöhnlichen Leistungen in den Bereichen Chipsessen oder Staatsführung. Da muss manch andere Aktivität zurückstehen.
E ntspannte Abende vorm Fernsehen – so lobe ich mir die Europameisterschaft. Da wir bei der Geburt alle unterschrieben haben, dass wir die deutsche Fußballmannschaft bis zum Grab unterstützen, sind die Termine in meinem Kalender auf Jahre hinaus blockiert. Ich hänge in der Ostkurve des Sofas mit dem schönen Gefühl, dass mich das alles nichts angeht, aber ich hier sitzen muss, weil das in meinem Ausweis steht. Das Gute daran ist, dass ich in der Zeit weder den Garten noch den Schrank aufräumen kann, wie sofort jeder einsieht. Ich will nur hier sitzen.
Auch ist der Fußball ein ausgezeichneter Vorwand für den verpflichtenden Konsum von Salzgebäck und Bier, die sonst eher nicht auf dem Ernährungsplan stehen. Freunde, die sich vor einem Spiel von zu Hause davonstehlen wollten, wurden von ihrem Nachwuchs daran gehindert: „Das geht nicht! Wir haben die Chips schon eingefüllt.“
Im Hintergrund tobt derweil eine andere Europameisterschaft. Die Briten haben den Kapitän gewechselt und rücken dem Wettbewerb wieder näher. Die Franzosen haben ihre Demokratie auf der Linie gerettet, Applaus! Während Ungarns Orbán im Alleingang mit großen Schritten durch den östlichen Strafraum zum Eigentor tänzelt. Pfiffe!
Von den genannten Teams ist eines bereits ausgeschieden, ratet wer, das hat bestimmt tiefere Gründe. Sie könnten zum Beispiel in der Staatsführung liegen. Obwohl „wir“ ja auch schon draußen sind, na ja, und das ist so ziemlich das einzige größere Missgeschick der letzten Zeit, das nicht Olaf Scholz und seine Elf beziehungsweise Fünfzehn zu verantworten haben.
Immerhin war es knapp gegen Spanien, das habe ich genau mitbekommen, während ich Europameisterin im Sofahüpfen wurde und gleichzeitig den Louis-de-Funès-Brüllwettbewerb gewann: „Ja! Nein! Doch! Argh! Blblblblbl! Nein!“
Während der Liebste versuchte, mir heimlich Blutdruckmedikamente auf die Kartoffelchips zu träufeln, wühlte ich im Schrank nach meiner Geschichts-Änderungs-Maschine. In der 89. Minute war sie endlich warmgelaufen, lieferte und rettete die Nation, aber in der 119. gab sie leider auf. Nun suche ich einen guten Reparateur, weil in der EM-Euphorie einige wichtige Änderungsprojekte versehentlich liegen geblieben sind.
Nicht liegen geblieben ist dagegen die Neueröffnung unseres Dorfschwimmbades nach einjähriger Sanierungsphase. Die dort verbauten „Schwallwasserbehälter und Staubetonkanäle“, auf die man so stolz war, dass ich dachte, sie buddeln sie gleich unter Marschmusik kollektiv wieder aus dem Boden zur gefälligen Präsentation – die bräuchte ich jetzt ganz dringend, um den Laden wieder flott zu kriegen. Man kann damit Großbritannien zurückholen oder Orbán sanieren, Le Pen endgültig ausbremsen und die AfD in die Steinzeit zurückstauschwallen, obwohl, da ist sie ja eh schon. Was soll’s.
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