Die Wahrheit: Schottentod im Paradies
Wer untertaucht, lebt gefährlich, das sollte bei der EM der abgetauchte schottische Fußballtrainer der von Deutschland besiegten Equipe beherzigen …
D er arme Steve Clarke. Nach der Niederlage gegen Deutschland bei der Europameisterschaft in München kann sich der schottische Trainer nicht mehr daheim blicken lassen. Er muss für eine ganze Weile untertauchen.
Als nach einer guten Stunde klar war, dass die Schmach nicht mehr abzuwenden war, wechselte Clarke seinen Mittelfeldspieler Callum McGregor aus. Der sollte die Flucht Clarkes heimlich vorbereiten, denn einer seiner Vorfahren hatte darin Erfahrung. Leider wusste McGregor nicht, wie die Sache mit seinem Urahn damals für die Schotten ausgegangen war …
Gregor McGregor kam 1786 auf die Welt und war erst 16 Jahre alt, als er in das 57. britische Infanterieregiment eintrat. Innerhalb eines Jahres war er Leutnant. 1805 bezirzte er die Tochter eines wohlhabenden Kapitäns der Royal Navy und heiratete sie. Mit ihrem Geld erkaufte er sich einen Kapitänsposten. Dann zerstritt sich McGregor jedoch mit einem höheren Offizier, und seine militärische Karriere fand ein jähes Ende. Er musste sich etwas anderes einfallen lassen, um an Geld zu kommen.
Er ging nach Übersee und schwatzte einem lokalen Herrscher ein Stück Land an der Ostküste von Honduras ab. Zurück in Großbritannien vermarktete er Poyais, wie er das Land in Zentralamerika nannte. Für Personen im fortgeschrittenen Alter herrsche dort ein ideales Klima, der Boden sei ausgezeichnet, Pferde, Schwarzvieh, Schweine und Geflügel wüchsen fett und seien glücklich, behauptete er. Kurz gesagt: Das Land war gut, und man munkelte, dass es in den Hügeln Gold gab.
Alles Hab und Gut verkauft für ein neues Leben
McGregor eröffnete ein Büro in Edinburgh, wo man Land kaufen und eine Schiffspassage ins Paradies buchen konnte. Die Leute verkauften ihr Hab und Gut für ein neues Leben in Poyais. McGregor tauschte ihre Sterling-Pfunde in Poyais-Dollar um, damit sie in den Geschäften der dortigen Hauptstadt St. Joseph einkaufen konnten. Er hatte die Scheine in Edinburgh drucken lassen.
1823 segelte die „Kinnersley Castle“ von Edinburgh aus in Richtung Poyais. Es kam zur Katastrophe. Die Kolonisten entdeckten bald, dass sie in eine irdische Hölle geraten waren. Es gab keine Stadt, keine Herden von fetten Rindern, kein Gold im Boden. Es gab nur Dschungel, Regen, Gelbfieber und Malaria. Der britische Gouverneur von Honduras schickte Evakuierungsschiffe. Nur 60 der 240 Angereisten überlebten drei höllische Monate im vermeintlichen Paradies.
McGregor war nach Frankreich geflohen, wo es ihm tatsächlich gelang, weitere 300.000 Pfund für eine „Goldmine“ in Poyais aufzutreiben. 1839 war das Geld ausgegeben. Er ging nach Venezuela, wo er eine Rente erschlich. Bis zu seinem Tod im Jahr 1854 lebte er komfortabel in Caracas. Er wurde 59 Jahre alt. Der schottische Trainer Steve Clarke ist heute ein Jahr älter. Er wird schon bald merken, dass es Poyais immer noch nicht gibt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!