Die Wahrheit: Kannibalen sind überall

Von „Moby Dick“ bis „Kinds of Kindness“ tauchen in letzter Zeit überall Menschenfresser auf, darunter durchaus auch ganz appetitliche.

Angriff auf einen Wal mit Fangbooten, im Hintergrund wartet das Segelschiff

„Auf den kargen Fangbooten, die wochenlang über den Pazifik dümpelten, mussten diesbezüglich ernste Entscheidungen getroffen werden“ Foto: CPA Media/imago

Aus irgendwelchen Gründen hielten die letzten Monate eine verstärkte Konfrontation mit dem Thema Kanni­balismus für mich bereit. Der diesjährige spanische Anwärter auf den Oscar „Society of the Snow“ erzählte die wahre Geschichte der Anden-Flugkatastrophe von 1972 nach; im Cannes-Wettbewerbsfilm „Kinds of Kindness“ briet Emma Stone ihren Finger; und angesichts des neuen Films von Luca Guadagnino beschäftigte ich mich noch mal mit seinem subversiven Altwerk, unter anderem mit „Bones and all“.

Zudem hatte ich gerade eine neuerliche Moby-Dick-Phase, in der ich die Originalstory des nachtragenden Wals, die 2015 unter dem Titel „In the Heart of the Sea“ verfilmt wurde, kennenlernen durfte – und auch auf den kargen Fangbooten, in denen die wenigen Überlebenden des Pottwalangriffs wochenlang über den Pazifik dümpelten, mussten diesbezüglich ernste Entscheidungen getroffen werden.

Herman Melville, der die Böser-Wal-Story beeindruckend fiktionalisierte, gibt sich bei sensibilisierter Durchsicht des Buchs große Mühe, den von allen als „Kannibale“ bezeichneten Quiqueg, dank dessen weiser Voraussicht der Erzähler Ismael am Ende überlebt, als gute Seele zu zeigen: Im vierten Kapitel lädt Quiqueg Ismael freundlich ein, in der üblen Spelunke „Zum Walfisch“ in Nantucket das Bett mit ihm zu teilen. Und „da fand ich“, schreibt Ismael, „dass er eigentlich ein ganz appetitlicher, netter Menschenfresser war, trotz all seiner Tätowierungen … Lieber ein nüchterner Menschenfresser als ein betrunkener Christ, dachte ich bei mir.“

Wohl wahr. Dennoch ist es kein schönes Thema – aber so alt wie die Menschheit. Und wenn man mal genau hinguckt, begegnet es einem überall. Der Kinderbuchautor und -illustrator Richard Scarry, der über 300 Millionen Bücher verkauft hat, schrieb und zeichnete in den Sechzigerjahren eine Geschichte namens „Learn to count with Hooty Owl“, die sich 1970 unter dem Titel „Eulenmatz lernt zählen“ in einem Pixibuch wiederfand.

Eulenmatz, ein kleiner Eulenjunge, geht mit seiner Mutter auf den Wochenmarkt. An den Ständen, hinter denen jeweils Tiere als Verkäufer stehen, kaufen sie drei Äpfel, vier Eier, fünf Zwiebeln, sechs Gurken und so weiter. Was es bedeutet, dass sie ihre sieben Würstchen für das Abendessen aber ausgerechnet bei einem Schwein erstehen, anscheinend einem kannibalistisch-sadistischen Metzgerschwein, ist mir erst im Nachhinein klargeworden. Richtig feiner Stil ist das nicht.

Auch in Tom Hoopers 2019 inszenierter campy Neuverfilmung vom eh schon geschmacklich fragwürdigen Musical „Cats“ fiel mir damals vor allem auf, dass die Katzen teilweise Pelze tragen, also Pelzumhänge über ihrem eigenen Fell – nun gut, es ist auch kalt draußen auf der Londoner Müllhalde. Aber woher stammt der Umhang?! Hoffentlich ist es Webpelz. Oder Kanin.

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kari

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