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Die WahrheitDie finale Zerstörung der Verwaltung

Mit Mythen ist es immer so eine Sache. Mit dem rechtzeitigen Beantragen eines neuen Ausweises auch. Wenn beides in Berlin zusammenkommt? Spannend.

D as hier ist eine Strafarbeit. Denn ich habe den Betriebsablauf der taz in Gefahr gebracht und dabei, was noch viel schwerer wiegt, einen gut gepflegten, bundesweit bekannten und allseits heiß geliebten Berliner Mythos zerstört. Das wichtigste Wahrzeichen der Hauptstadt: das Versagen der Behörden.

Viel zu spät in die Redaktion zu kommen und alle Deadlines für die Seitenplanungen zu reißen wäre kein Problem gewesen, hätte ich zur Entschuldigung einfach auf die Trottel vom Amt verweisen können, die mich so lange warten ließen, bis der Betriebsauflauf in der taz Kantine weggeschmort war. Logisch, hätten alle mit den Achseln gezuckt, so ist das eben, weiß doch jeder. Berlin halt.

Aber halt, die Wahrheit ist: Berlin kann nichts dafür, ich bin’s gewesen. Ich war nicht nur an meiner Verspätung selber schuld. Nein, ach, viel schlimmer: Es spricht viel dafür, dass ich die gesamte Berliner Stadtverwaltung komplett lahmgelegt habe. Mea culpa!

Was habe ich nur getan, wie konnte das passieren? Eigentlich hatte alles doch so gut angefangen, als ich mir meine offizielle Fortexistenz sichern und einen neuen Personalausweis bestellen wollte. Ich bekam schon im Februar einen Termin für April. Und schon um 8.30 Uhr, also machbar vor der Arbeit. Mein unverhofftes Glück ließ ich mir auch nicht davon trüben, dass ich für den kurzen Verwaltungsakt 15 Kilometer nach Hohenschönhausen fahren sollte. Ganz im Gegenteil, ich finde es gut, wichtig und sogar erholsam, nicht immer in meinem engen Kreuzberger Radius zu kreisen. Wer zu lange nur im eigenen Kiez herumläuft, bekommt eine Blase.

Gewappnet für den Trip

Für die weite Reise ins Unbekannte fühlte ich mich gewappnet, weil ich schon im Schultheater Odysseus gespielt habe und heute als Soccerdad oft lange Rundfahrten zu Auswärtsspielen am Stadtrand mache. Wohlgemut also stieg ich ins Auto, weil das laut Google Maps nur 30 Minuten und damit halb so lang wie die Öffentlichen braucht. Tja. Erster Fehler. Nach einer Stunde im Stau war ich zu spät beim Amt, bat um Entschuldigung und bekam eine neue elektronische Warte­nummer, also eine zweite Chance, die ich jedoch ebenfalls verpasste.

Denn wie ich nun feststellte, hatte ich weder Passbilder noch Geld für den Foto­automaten dabei. Wer kann denn auch ahnen, dass man für einen Ausweis Bilder braucht! Als ich alles eilig in der Umgebung aufgetrieben hatte und ins Amt zurückkehrte, war ich leider bereits zum zweiten Mal vergeblich aufgerufen worden.

Es ging inzwischen gegen Mittag. Extrem freundlicherweise bekam ich trotzdem eine dritte Chance, mein Name wurde noch einmal in die digitale Warteliste eingetippt. Keine fünf Minuten später war es so weit – eine Angestellte teilte den Wartenden mit großem Bedauern mit, dass nun leider alle Computer ausgefallen und keine weiteren Bearbeitungen mehr möglich seien, der Grund sei unbekannt. Aber ich ahnte ihn und habe ein schlechtes Gewissen.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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