Die Wahrheit: Abrahams Wurstkessel

Brandneue Studien, sensationelle Ergebnisse, bewährter Geschmack: Die deutsche Wurstforschung schreitet mächtig voran.

Dame, verwurstet.

Verwurstete Dame von der IFFA, 2007 Foto: ap

In Würsten nichts Neues? Gottlob doch! Aktuelle Forschungsergebnisse aus der Theologie legen nahe, dass die Wurst nicht einfach nur ein Nahrungsmittel unter anderen ist, sondern eines der fünf Elemente, aus denen praktisch alles in der Welt besteht. Neben Luft, Erde, Wasser und Feuer stellt Wurst somit eine der Säulen dar, auf denen der Zusammenhang des Universums auf Ebene der Quantenteilchen ruht. Als Nächstes wollen die Wissenschaftler erforschen, warum Wurst, wenn sie doch ein eigenes Element ist, so große Anteile der Elemente Wasser und Luft enthält.

„Dieser Sachverhalt“, lächelt Theologe Wim Wolkers von der Universität Utrecht befriedigt, „wurde jetzt signifikant im Laborversuch für eine Reihe von Ländern bestätigt, besonders Deutschland, das ohne Wurst auseinanderfiele.“ Das habe weniger mit der Qualität der Würste zu tun, so der Professor, als mit der spirituellen Bedürftigkeit der Einwohner. „Es gibt dort armselige Landstriche, die ihr komplettes Selbstbewusstsein aus der Wurst ziehen – sie haben nichts anderes! Ich möchte keine von ihnen nennen, weder Thüringen, noch Franken, noch Westfalen, denn dann wären die anderen 500 Wurst­re­gio­nen beleidigt“, schmunzelt der Gelehrte über den Rand seiner randlosen Brille.

„Über Umwege kommt daher übrigens der Ausdruck ‚beleidigte Leberwurst‘!“, ergänzt seine wissenschaftliche Assistentin Dr. Linda de Weck: „Wenn es um ihre Wurstzipfel geht, sind die Deutschen sehr empfindlich, Amen! Nehmen Sie eigentlich Senf oder Ketchup zur Bratwurst?“ Dann lassen sich die beiden einen dänischen Hot Dog mit viel gelber Remoulade und Röstzwiebeln schmecken, der erwiesenermaßen besser ist als jede deutsche Rostbratwurst, wie Utrechter Lebensmittelchemiker herausgefunden haben.

Im besagten Deutschland haben sich währenddessen die Psychologen der Wurst angenommen. „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“, insinuiert Institutsdirektorin Prof. Dr. Sonja Sauerbrey von der Uni Konstanz. „Entschlüsselt bedeutet das: Ambivalenz, dein Name sei Wurst.“

Labore der Liebe

Damit ist gemeint: Um eine Wurst genießen zu können, müsse man dem Hersteller vertrauen, obwohl das eigentlich nicht geht, denn, so Dr. Sauerbrey, „da könnte ja alles drin sein!“ Das sei nämlich der Witz bei Würsten, dass man in ihnen alles ‚verwursten‘ kann, ohne dass es auffiele, warnt die Professorin. „Für empirische Details braucht man Lebensmittellabore und die Mittel von Forensik und Pathologie.“

Das aber, ergänzt ihr Assistent Dr. Heiner Tomlin, „macht die Beziehung der Leute zu ihren Würsten so kompliziert, so neurotisch, so verrückt!“ Menschen misstrauten den lokalen Metzgern ebenso wie der niedersächsischen Tierverarbeitungsindustrie, gäben Discountern und Supermärkten dagegen den gleichen Vertrauens­vorschuss wie ihren Lieben daheim in der Küche – das reine polyamoröse Beziehungschaos! Das von den Metzgern leider hinterrücks ausgenutzt werde. „Und so landen in den Würsten nicht nur Sachen vom Tierkadaver, wo die Leute traditionell lieber nicht Bescheid wissen wollen“, fährt die Professorin fort, „sondern auch neue Scheußlichkeiten wie Separatorenfleisch, chemische Zusätze, Bindegewebe, Verdickungsmittel. In letzter Zeit auch billiges Pflanzenfett und immer schon jede Menge Wasser – das ist noch das gesündeste in ihnen.“

Auf die Sünden der Fleischverarbeitung angesprochen, präzisiert wiederum der Utrechter Theologe: „Die Leute kennen sich, wissen von den Mahlzeiten, was Verderbtes in ihnen steckt – sie mögen sich in der Regel trotzdem. Also wird die Wurst als Ebenbild der menschlichen Verfasstheit wie Sinnbild der göttlichen Wiederauferstehung herzlich umarmt. Und die Wurstindustrie, der eigentliche Satan, kommt ungeschoren davon.“

Doof bleibt doof, da hilft auch kein Grillen

Entscheidender sei deshalb folgende Entdeckung, postuliert Dr. Ernesto Guglieri, Physiologe an der Universität Meran: „Bisher ging man davon aus, dass unsere Geschmacksknospen fünf Dimensionen bewältigen: süß, salzig, bitter, sauer und umami.“ Neue Studien aus dem vergangenen Monat hätten allerdings ergeben: „Zusätzliche Fettrezeptoren bilden im Bündnis mit Umami und Salz die Geschmacksdimension Wurst. Ihr kann einfach niemand widerstehen, vor allem in Deutschland ergibt man sich kampflos! Das hat wahrscheinlich mit dem fünften Element zu tun, von dem jetzt in der Theologie die Rede ist, der Säule der Erde, dem Leib der Schildkröte. Anders ausgedrückt: Jetzt grillen die Idioten vermutlich sogar mitten im Winter!“

Die ­ungeheure Anziehungskraft der Wurstgeschmacksmoleküle stammt aus grauer Vorzeit, als die Wurst von der Natur in ihrer Form der Zucchini, der Banane und der Möhre nachgestaltet wurde, um in den Vorlieben der Menschen mit dem Gemüse mithalten zu können, vermutet der Forscher. Die Klage der ­verrücktesten Fleischfresser, dass die Veganer ständig ihre Fleischwaren imitieren, müsste deshalb bald verstummen.

Als eindeutig widerlegt kann laut Dr. Guglieri dagegen das Vorurteil gelten, die Deutschen würden auf Weber-Grills für 1.000 Euro ihre 99-Cent-Aldi-Bratwürste grillen. „Ich halte das allein von der Physiologie her nicht für plausibel“, schüttelt der Dottore den Kopf. „Wer Tesla fährt, geht nicht mit dem Gutscheinheft essen, und wer einen freistehenden Gasherd in der Küche besitzt, holt seine Lebensmittel nicht bei der Tafel. Das ist doch Ehren- und Distinktionssache!“

Was Institutsdirektorin Sauer­brey mit psychologischer Expertise gern bestätigt: „Ich grille auf meinem ‚Weber Summit Charcoal Grill Center‘ nur Iberico-Bratwürste, im Notfall welche aus selbstgeschossenem Wildschwein.“

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kari

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