Die Wahrheit: Ich will kein NPC sein!
Wer will schon irgendwie Hintergrund sein, nur Deko, ein farbloser Niemand, das absolute Nichts? Niemand – erst recht nicht in der Stammkneipe.
D u bist echt der einzige Mensch, der mit ’nem verrenkten Lendenwirbel zum Arzt geht und mit ’nem Psychoknacks zurückkommt“, sagte Theo. – „Stimmt“, pflichtete Luis ihm bei: „Bei Doc Prietsch liegen massenhaft harmlose alte Zeitschriften rum. Warum nimmst du dir nicht einen Stern oder das Kicker-Sonderheft der vorvorletzten Saison?“
„Außerdem sind die großen Fragen der Philosophie doch alle erledigt“, kicherte Rudi, der Blödmann: „Gott? Tot. Wahrheit? Gibt’s nicht. Erkenntnis? Nicht möglich.“ Er war, kein Zweifel, froh, ausnahmsweise nicht der Depp zu sein.
„Aber die Frage ist doch wichtig!“, verteidigte sich Raimund. Er war in Prietschs Wartezimmer auf eine alte Nummer des Philosophie Magazins gestoßen, von dessen Titel ihn die Frage „Lebe ich intensiv genug?“ angesprungen hatte. Seitdem nagte der Verdacht an ihm, dass die Antwort „Nö“ lauten könnte.
„Ich weiß überhaupt nicht, warum du dir darüber den Kopf zerbrichst“, sagte Theo, während Petris, Wirt des Café Gum, ihm ein neues Bier auf die Theke stellte: „Ist doch eh zu spät.“
„Zu spät? Wieso zu spät?“ – „Mann, Raimund“, sagte Theo, „du bist fast fünfundsechzig. Die Sache hat sich erledigt!“ – „Wieso das denn?! Wenn’s gut läuft, hab ich noch zwanzig Jahre!“ – Theo seufzte. „Und was willst du machen in diesen zwanzig Jahren? Du hast hohen Blutdruck, du hast Rücken, dir fallen spätestens ab Mitternacht die Augen zu. Die guten Dinge gehen doch alle nicht mehr!“ – „Was sind denn das für ‚gute Dinge‘?“, fragte Rudi süffisant. Er hätte zu gern etwas Schlüpfriges gehört, um ihn mal wieder bei Sybille zu verpetzen.
Theo schenkte ihm einen verächtlichen Seitenblick. „Eine Nacht durchtanzen, ein Pokalendspiel gewinnen, was weiß ich! Mir fallen tausend Sachen ein, für die man jung sein muss. Würden wir das versuchen, landeten wir mit tödlicher Sicherheit in der Notaufnahme.“
„Außerdem ist die Frage doch völlig bescheuert“, sagte Luis: „Was soll das denn heißen? Wer am intensivsten lebt, hat gewonnen, oder was? Leben ist doch keine olympische Disziplin!“
„Es geht einfach darum, kein NPC zu sein!“, rief Raimund. – „Kein NP-watt?“ Theo guckte ihn ratlos an. – „EnnPieCie“, erklärte Luis: „‚Non-Player Character‘. Figuren in Computerspielen, die nicht wirklich an der Handlung teilnehmen – die nur irgendwie Hintergrund sind, Deko, farblose Niemands, das absolute Nichts …“
„Hm“, grinste Theo belustigt, „ich find’s gar nicht schlecht, in Ruhe mein Bier trinken zu können, ohne dauernd mit irgendwelchen Godzillas oder Prigoschins um mein Leben kämpfen zu müssen.“ – „Aber das hier“, quietschte Raimund und zeigte in die Runde, „kann doch nicht alles gewesen sein!“
Eine bleierne Stille folgte. Wir alle, selbst Rudi, der Blödmann, schauten ihn enttäuscht an, und Petris, Grieche und leicht zu kränken, schüttete das frisch gezapfte Bier, das er ihm gerade hinstellen wollte, wortlos in den Ausguss, wo es davonstrudelte.
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