Die Wahrheit: Deutschlandkollaps am Gepäckband
Die Schwerdenker der Republik kehren aus dem Sommerurlaub zurück und rufen am Flughafen des desaströsen Heimatlands mal wieder den Weltuntergang aus.
W enn das Land kollabiert, muss man die Regeln ändern.“ Das ließ neulich der Verfallschronist Harald Martenstein in einer seiner zig Kolumnen einen „elegant gekleideten Passagier“ auf dem Berliner Flughafen ausrufen. Was war geschehen? Ging das WLAN auf der Rolltreppe nicht? Wurde während der Abfertigung gegendert? Nein, es gab nur eine Verzögerung bei der Kofferausgabe.
Der Grund: Personalmangel („Fachkräftemangel wäre wohl das falsche Wort“). Die beiden Fachkräfte, die noch Koffer schoben, mussten wegen Arbeitsüberlastung pausieren, so wurde den Fluggästen erklärt, zu denen auch Urlaubsrückkehrer Martenstein gehörte (Ibiza): „Da herrschte schlechte Stimmung am Gepäckband.“
Daran änderte auch besagter Passagier nichts. Sein Vorschlag, zur Abwendung des Deutschlandkollaps die Fluggäste ihr Gepäck selbst ausladen zu lassen, sei gegen die Regel, ließ ihn ein Flughafenmitarbeiter abblitzen. Die Folge für ihn wie für Martenstein: stundenlanges Warten. Was insofern erfreulich ist, weil einer, solange er am Gepäckband abhängt, keine Kolumnen verzapft. Andererseits ist es ein bisschen schade, weil Martenstein ja bei einer Regeländerung mit rangemusst – und so vielleicht mal eine wirklich schmissige Kolumne hätte schreiben können; eine kofferschmissige gar, hehe.
So aber dümpelte sein Zeug wieder nur so dahin – und nichts kollabierte. Nur der Getränkeautomat hatte kein Bier. Und die Toiletten wurden benutzt. Und am Ende war noch was mit den Taxen. Was eben so alles ein Land in den Abgrund reißt – jedenfalls nach Auffassung derer, die die Regel „Schwerstarbeit nur gegen anständig Kohle“ offenbar nicht kennen.
Wie Martensteins Bruder im schlichten Geiste, der Kolumnist Jan Fleischhauer, der ebenfalls „irgendwas“ mit Gepäckbändern hatte. „Ihr könnt mir sagen, was ihr wollt, aber irgendwas läuft hier schief“, twitterte er neulich unter dem Foto einer unbestückten Kofferausgabe.
Der Hang, bei jeder Verzögerung den Untergang auszurufen, ist eben sehr verbreitet. Die hiesigen Kfzler sind darin besonders gut. Statt zu begreifen, dass die Staus, in denen sie ständig stehen, ausschließlich sie selbst verursachen, glauben sie, es läge an fehlenden Straßen. Und fordern, dass zügig neue errichtet und die alten renoviert werden.
Aber wenn das geschieht, sind es die daraus resultierenden Baustellen, die ihnen das Autofahrerleben zur Hölle und dem Land den Garaus machen mit all den Sperrungen, Fahrbahnverengungen oder Spurwechseln. Die Verkehrsregel, nach der es neue Straßen ohne Bauzeiten geben kann, muss erst noch erfunden werden.
Und dann arbeitet auf diesen Baustellen nie einer, wissen die Autler, die ja, wie man inzwischen weiß, immer alle dringend zur Arbeit müssen. Auf die Idee, dass die Straßenarbeiter ebenfalls im Stau und die beiden, die gern für sie einsprängen, am Gepäckband stehen, kommen sie natürlich nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt