Die Wahrheit: Das mondähnliche Objekt
Was hat es mit dem geheimen Büro für Arbeit in, an und unter dem Text auf sich? Fest steht nur eins: Unsinnige Arbeiten können ungemein beflügeln.
D ie Firma, bei der ich arbeitete, gab es offiziell nicht. Somit gab es mich offiziell auch nicht. Wie man mir versichert hatte, war dies das Äußerste, was ich an Tarnung erwarten konnte.
Am meinem ersten Arbeitstag war ich aus Geheimhaltungsgründen in einer innen gepolsterten Holzkiste angeliefert worden. Anders als die übrigen Angestellten, betrat und verließ ich das Firmengebäude nie durch den Haupteingang, sondern durch eine unscheinbare Tür weiter unten an der Straße. Wollte ich hinein, musste ich dreimal klingeln und über die Gegensprechanlage ein täglich wechselndes Kennwort nennen.
Ich hatte ein kleines Büro für mich allein und sehr wenig Kontakt zu meinen Arbeitskollegen. Trotzdem entging mir nicht, dass die Belegschaft häufig ausgewechselt wurde. Die Neuen übernahmen stets die Namen ihrer Vorgänger und taten, als habe sich gar nichts verändert. Ich kannte das Phänomen seit der Kindheit. Meine Eltern sowie Verwandte und Bekannte waren oft durch Fremde ersetzt worden.
Mir wurde ein höchst anspruchsvoller Auftrag erteilt. Ich sollte heterogene gedruckte Texte in einer Collage so kombinieren, dass in der geistigen Dimension des neu entstehenden Textes ein mondgroßes, rundes Objekt am Himmel entstand. Praktisch unsinnige Aufgaben hatten mich schon immer beflügelt, und ich machte mich mit großem Enthusiasmus ans Werk.
Korrekt in einem Hauptbuch abgelegt
Als Erklärung für die Macht des gedruckten Worts wurde seinerzeit das Vorhandensein einer entsprechenden Strahlenquelle angenommen. Damit das dieser Annahme zugrundeliegende Gesetz aus allen Himmelsrichtungen funktionierte, musste das geistige Substrat der Quelle korrekt in einem Hauptbuch abgelegt sein.
Jeden Morgen wurde mir ein Stapel Tageszeitungen und Zeitschriften gebracht. Aus ihnen schnitt ich bestimmte, in einer Liste aufgeführte Worte und Sätze aus, die ich dann, mit Angabe der Quelle sowie des Datums, auf dafür vorgesehene gelbe Karteikarten klebte. Diese wichtigen Arbeiten waren die Grundlage des Projekts.
Dessen praktische Durchführung erwies sich zuletzt aber als wesentlich schwerer, als ich erwartet hatte. Ich musste vermeiden, dass sich das zu erzeugende Objekt zu weit von einem bestimmten Punkt am Himmel des Textes abschleuderte, selbst wenn es genau gegenüber am selben Punkt zu finden war.
Wiederholt begab ich mich als geheimer Akteur ins Naturnegativ der Collage, um die Substratwerte zu justieren. Die Röntgenschreibung der Strahlenquelle konnte ich jedoch nicht dauerhaft annullieren, wodurch das Ergebnis völlig misslang. Anstatt eines mondähnlichen Objekts am Himmel der Erzählebene entstand ein großes Loch im Text.
Die inzwischen komplett ausgewechselte Geschäftsleitung verlangte, ich solle mich für immer in den beschädigten Text verfügen, um das Loch mit mir selbst auszufüllen. Natürlich konnte ich das nicht. Ein solches Ansinnen war lächerlich.
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