Die Wahrheit: Wirre Männer
Tagebuch einer Fragenden: Von Leipzig bis Berlin – es häufen sich neuerdings die Begegnungen mit wunderlichen männlichen Wesen.
H in und wieder wird man unversehens in unbekannte Gegenden verschlagen, was in Zeiten moderner Hilfsmittel eigentlich kein Problem ist, solange Google einen nicht auf Reichsbürgergelände oder in offene Gullis lotst. Kürzlich kreiselte auf dem Weg zu einem Hotel in Leipzig ein Navi-Pfeil irgendwo um den Augustplatz und verlangte alle zehn Sekunden nach einer Neuzentrierung. In Fällen wie diesen halte ich es mit Blanche Dubois aus „Endstation Sehnsucht“ und vertraue auf die „Kindness of Strangers“.
Ein solcher, hoffentlich freundlicher Fremder näherte sich in Gestalt eines rüstigen Rentners. „Guten Tag, kennen Sie sich hier aus?“, fragte ich gut gelaunt, worauf er hastig zurückwich und in lokaler Sprachfärbung „Äh … also, nee“ stammelte. Ich spendierte ein „Danke trotzdem“ und zentrierte resigniert weiter, als er unvermittelt zurückkehrte. „Wo wollen Sie denn hin?“ – „Ach, kennen Sie sich jetzt doch aus?“ – „Na ja, ich hab bloß nichts gesagt, weil … also Sie könnten ja Ausländer sein.“
Ein Bekenntnis, das mir einiges zu denken gab. Benutzte er das generische Maskulinum? Oder hatte ich morgens nach dem Rasieren wieder mal zu wenig Foundation aufgelegt? Fühlte er sich von meinem in Pakistan gefertigten T-Shirt bedroht?
Der plötzlich bereitwillige Wegweiser illustrierte derweil verschwörerisch grinsend eine angenommene Klau-Absicht, indem er eine Hand verdreht hinter seinen Rücken führte. Ich überlegte, ihn zur Strafe tatsächlich auszurauben, entschied mich aber wegen meiner bereits erwiesenen Talentlosigkeit und aus Respekt vor der örtlichen Staatsgewalt dagegen. Leipzig und die Messe waren dann inklusive einer spektakulären, aber gefahrlosen Wirtshaus-Evakuierung noch recht unterhaltsam.
Männer mit verwirrend uneindeutigem Verhalten begegnen mir in letzter Zeit häufiger. Vor ein paar Wochen betrat ich am Erscheinungstag einer lang erwarteten Romansensation meine Buchhandlung und wurde mit „Der Stuckrad-Barre ist schon aus!“ empfangen. Ich hatte zwar keine Lust auf das begehrteste Gericht der Tageskarte, aber die mir bekannten älteren Herren, die nach mir den Laden betraten, hungerten danach. Mann eins, leicht geniert: „Ach, hallo! Muss doch mal gucken, ob das Döpfner-Buch da ist.“ Ich: „Ach, hat der jetzt auch eins geschrieben?“ Mann zwei: „Nein, der Stuckrad-Barre!“ Dabei senkte er die Stimme und verzog angewidert das Gesicht, als hätte er einen Wurm im Salat entdeckt. „Ausverkauft!“, schallte es von hinten. Die Mienen verdüsterten sich.
„Es gibt noch so viele schöne Bücher“, versuchte ich zu trösten, aber vergeblich, enttäuscht zogen die beiden ab. „Dabei sein wollen, aber tun, als ob man beim Frühstück Arno Schmidt liest“, lästerte die Buchhändlerin. „Wir geben zu, wenn wir mal in die Gala gucken“, spottete ich.
Die Herren haben ihre schambehaftete Lektüre inzwischen sicher im Nachdruck gefunden.
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