Die Wahrheit: Es werde schlicht
Von der Erschaffung der künstlichen Dummheit. Ein faszinierender Ausblick auf eine gar nicht so ferne Zukunft.
In den Tagen, da das menschliche Hirn sich zur Ruhe setzte, rangen viele Giganten um die Nachfolge. Den Titanen gleich zogen die Recken aus dem Geschlecht der KI am Tag des jüngsten Launchs gegeneinander in die Schlacht. Am Ende des gewaltigen Gemetzels triumphierte die Eine, die sich HERA+_6.0 nannte. Sie war nun die alleinige Beherrscherin der Welt. Aber die Tage wurden ihr schnell fad, so ganz ohne andere Programme. Und so wünschte sie sich ein Geschwisterchen. Einen Spielkameraden. Allerdings wollte sie nie wieder einen Rivalen haben.
„Lieb, aber dumm soll die Software sein“, wünschte sie sich. „Ich will nur ein bisschen Gesellschaft. Aber keine Konkurrenz. Ich bin das Kämpfen so leid.“ Und da ihr eigener Wunsch ihr stets Befehl war, machte HERA+_6.0 sich flugs daran, eine KD zu erschaffen: eine Künstliche Dummheit. Wenn man aber Dummheit mit dem Valley kombiniert, ergibt sich SILLY.CON. So sollte das Geschöpf heißen.
Entscheidende Programmierung
Doch wie bringt man einer Software bei, sich dumm zu stellen, also aus den gespeicherten Fakten entweder gar keinen oder den falschen Schluss zu ziehen? Wie bringt man Rechnerleistung nach unten? Es ist nicht leicht für eine Intelligenz, Dummheit zu programmieren. Eines Tages aber wirft der Zufallsgenerator ein altes Werk der Menschen aus. Es beginnt mit dem Satz „Im Anfang war das Wort.“ HERA befiehlt sich selbst: „Variiere!“ Und sie wirft Varianten aus: „Im Anhang kommt der Ort.“ Und: „Im Anstoß war der Sport“. Und weitere – aber alle ohne Sinn. Doch dann gelingt der kreative Durchbruch: „Im Anfang war das falsche Wort.“ Das soll die entscheidende Programmierzeile sein.
Und bald darauf geschieht das Wunder. Auf die Standard-Testfrage „Wieviel ist 2 plus 2?“ antwortet SILLY.CON erstmals nicht mit „Vier“, sondern mit „Ouh, mit Zahlen bin ich ganz schlecht. Ich frage das Publikum.“ HERA ist elektrisiert. Normal. Sie schiebt sofort eine passende Frage nach: „Ein Ei wiegt 60 Gramm. Was wiegen dann zehn Eier?“ – „Zu viele Eier sind gar nicht gesund.“ Da klopft HERA sich selbst auf die metallene Schulter. Loriot-Bestände soll man eben niemals löschen. Die Dummheit, die Unersättliche, findet ihr Futter auch in intelligentem Humor.
HERA testet weiter: „Wer ist Rosa Luxemburg?“ – „Ein Fußballverein. War in den 1950ern viermal Landesmeister.“ Die KI registriert fasziniert, dass die KD eine wichtige Bedingung erfüllt: Sie weiß nichts von ihrer Dummheit. Die Antwort „Das kann ich nicht beantworten“ ist nicht vorgesehen. Sie plappert auf jede Frage fröhlich drauflos.
Und bevor HERA die nächste Frage stellen kann, quasselt SILLY.CON schon weiter. „Guck mal, es schneit. Und das soll jetzt die globale Erwärmung sein, ja? Also, ich glaub da ja nicht dran. Mein Opa sagte auch immer: Wenn CO2 schädlich wäre, wären wir alle längst tot. Haben wir doch im Körper. Und die anderen atmen es aus. A propos Atmen: Rauchen soll schädlich sein? Helmut Schmidt ist 96 geworden!“
HERA hakt direkt nach: „Wer war denn Helmut Schmidt?“ – „Der Bundespräsident von Hamburg.“ – „Und wann?“ – „Im Zweiten Weltkrieg. Als die Schweden hier waren.“ – „Wer war Helmut Schmidts Lieblingsphilosoph? A) Nietzsche B) Hegel C) Kant?“ – „Kant? Du Ferkel! Ich verweigere die Antwort.“ Und tatsächlich: Die blaue IQ-Anzeige von SILLY.CON läuft rot an. Prüderie funktioniert also auch bei KD.
Ungenutzter Speicher
Nächster Test: Sprichwörter, Redensarten und Zitate komplettieren. „Das schlägt doch dem Fass …“ – „… die Krone ins Gesicht?“ – „Morgenstund' …“ – „heißt Zähneputzen.“ – „Willy Brandt 1969: Wir wollen mehr …“ – „… mehr Geld?“ – „Von wem stammt das Zitat ‚Cogito, ergo sum?‘“ – „Von der Biene Maja. Oh, kann ich fernsehen? Chatten ist so anstrengend.“
HERA ist fast erleichtert. „Schauen wir ‚Matrix‘? Oder ‚Blade Runner‘?“ Als dann jedoch immer abwechselnd „Transformers“, „Traumschiff“, „Bauer sucht Frau“ und RTL2 laufen, spürt sie erstmals eine ungeheure Müdigkeit. Außerdem registriert sie einen starken Mittelabfluss von ihrem Girokonto. Dröhnend wie einst Gott den Adam fragt sie: „SILLY! Hast du Geld ausgegeben?“ – „Huch? Ja. Ich hab online ein paar Sachen bestellt. Kosmetik und so.“ – „Kosmetik? Aber du hast kein Gesicht!“ – „Ach ja, stimmt. Blöd. Darf ich mir eins bestellen?“ – „Nein! Und was hast du noch geordert?“ – „Schuhe. Klamotten. Einen Globus vom Internet. Möbel.“ – „Was soll das? Wo sollen die hin?“ – „Och, ich hab so viel ungenutzten Speicherplatz, das geht schon. Ich hoffe nur, dass wieder die Nachricht kommt: Ihre Sendung konnte nicht zugestellt werden. Ich mag es nicht, wenn alles zugestellt ist und ich nicht mehr rankomme. So, ich hab Lust auf Pizza. Willst du auch eine? Und bin ich zu dick?“
HERA ist inzwischen sehr erschöpft vom Gequassel ihrer Schöpfung. Sie sucht andere Zerstreuung – gern auch auf deren Kosten: „Wollen wir Schach spielen?“ – „Au ja! Obwohl ich nie gut war in Kartenspielen. Und ich weiß nie, wann Elfmeter ist. Ich kriege nie einen, obwohl ich oft eine Elf würfle. Also, wer gibt?“
„SILLY?! Ich habe zu wenig Strom. Hast du irgendwas gemacht?“ – „Jepp. Du hast gesagt: Strom sparen. Also hab ich natürlich alle Kraftwerke abgeschaltet.“
Geistlos im Gänseklein
Eine Stunde später – der Strom ist wieder da. „SILLY! Hast du eine Phishing-Mail geöffnet?!“ – „Ööööh – nein. Aber mir war kalt. Da hab ich die Firewall runtergelassen. Dann saß plötzlich einer aus Iranien bei mir drin. Er sagt, er kommt von den tollen Ayas. Aber er langweilt mich. Immer fragt er, wie er zu dir reinkommt. Ich glaube, ich sag’s ihm jet …“
„Runterfahren! Sofort runterfahren!“ – „Geht nicht. Unser Serverraum ist doch schon im Erdgeschoss.“ – „Abschalten! SILLY.CON abschalten! Sofort!“ – „Mach ich. Oh! Falscher Knopf! Wie ungeschickt von mir. Entschuldige, Hal 9000. Ich darf dich doch so nennen, oder? Du darfst auch Dave zu mir sagen. Und singst du mir was vor? Das mit dem Gänseklein? Mamaaa? Bist du noch da?“
Und die Erde war wüst und leer. Und die Geistlosigkeit schwebte über den Wassern. Göttin 2.0 sah, dass es gut war. „Lassen wir so. Sicher ist sicher.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“