Die Wahrheit: Amorphes Durcheinander
Labskaus, Saumagen, Matschepampe: Über das Abstoßende als die gültige Konstante deutscher Nationalküche.
In seiner Liste der 100 schlechtesten Speisen weltweit hat das Food-Portal „Taste Atlas“ soeben das Schweizer Gericht „Riz Casimir“ auf Platz 18 gekürt, ein verklemmt-exotisches Putencurry mit Bratbananen und süßem Dosenobst – immerhin weit hinter dem isländischen Gammelhai und den gebratenen Spinnen aus Kambodscha auf Platz 3 und 5. Einer der vordersten Plätze hätte aber einem viel verbreiteteren Gericht aus dem deutschsprachigen Kulturkreis gebührt, das sich freilich im Alltag unter allerlei Decknamen verbirgt. Vielleicht weil es sich eher um eine ganze Familie von Gerichten handelt: eine kaputte, verwahrloste Familie!
Auf eine Begegnung mit ihr müssen Fremde vorbereitet werden. Im Marco-Polo-Reiseführer von 2004 werden Deutschland-Touristen dazu in der Rubrik „Bloß nicht!“ ausdrücklich davor gewarnt, bei den Mahlzeiten angeregt zu plaudern: „Während des Essens zu reden, gilt in Deutschland als unschicklich. Es ist alter Brauch, eine Weile missmutig im Essen herumzustochern und es dann in einem Rutsch hinabzuschlingen. Sobald Sie das deutsche Nationalgericht ‚Matsche mit Pampe und Fleisch‘ vor sich stehen haben, wissen Sie auch warum.“
Das stille Befremden ist geblieben, doch seitdem hat sich einiges verändert. Besagte Matsche mit Pampe und Fleisch ist zwar immer noch eines der Lieblingsgerichte der Deutschen, aber in der Gastronomie außerhalb von Touristenfallen mit „traditioneller Kost“ praktisch nicht mehr erhältlich. Reisende aus aller Welt reagieren dort beim Probieren, falls in der Pampe ein Klacks des berüchtigten Sauerkrauts zu finden ist, trotzdem einmütig mit lautem Entsetzen: „Uuuuuuh, it’s foul! It’s rotten!“
Die gutbürgerliche Küche von ehedem hat sich dagegen in ihrer Schwundstufe als Hausmannskost in die Privathaushalte zurückgezogen und wird selbst an diesen Orten heftig herausgefordert. Zum Beispiel von der Tiefkühlpizza, zumindest in jenem Dreiviertel der Bevölkerung, das die Kulturtechnik des Kochens komplett verlernt hat. Mindestens ein Zehntel der Leute verzichtet auch ausdrücklich auf das Fleisch zur Matsche mit Pampe und ernährt sich vegetarisch oder vegan – ebenfalls möglichst so, dass es nicht gut schmeckt. Das ist den Deutschen nämlich wichtig!
Höchst traurige Leibgerichte
Denn Genuss und Geschmack sind hierzulande verpönt: Protestantische Askese und katholische Armut haben historisch das jeweils ihre zur kulinarischen Katastrophe des Landes beigetragen. Anders wären die traurigen Leibgerichte der Leute – Pellkartoffeln mit Quark, Mirácoli, Erbsensuppe, Fischstäbchen mit Fertigspinat oder das ewige TK-Baguette mit Salami –, gar nicht zu erklären. Ein gar nicht mal so kleiner Teil der Deutschen schwelgt auch im Bewusstsein, Feinschmecker zu sein. Das hat aber in der Regel nichts mit der Qualität der aufgetischten Gerichte zu tun, sondern mit dem Anschaffungspreis von freistehendem Gasherd, Thermomix und Weber-Grill, mit dem lächerlich geprotzt werden soll.
Überwintert haben Matsche-pampe-Gerichte in den regionalen Traditionsküchen der teutonischen Provinz, wo die Devise „Sparsamkeit durch Abschreckung“ heißt. Geschlemmt wird hier höchstens an hohen Festtagen wie Karfreitag oder Buß- und Bettag. Besonders wirkungsvoller Grusel wird durch krasse Kombinationen von Organischem mit Anorganischem oder die Beigabe von fein zerkleinerten Schlachtabfällen erzeugt. In hanseatischen Gefilden genießt man das unschöne Labskaus nicht, in Nordhessen mampft man unfroh sein Weckewerk, in der Pfalz den notorischen Saumagen, und im Norden sowie in Berlin würgt man schlecht gelaunt an seiner Moppelkotze herum.
Amorphes Durcheinander gibt es natürlich auch in anderen Ländern auf den Teller. Das ägyptische Nationalgericht Kuschari etwa aus Reis, Linsen, Makkaroni, Kichererbsen sowie zweierlei Soßen aus Tomaten und Essig, das hauptsächlich in Garküchen angeboten wird, gleicht einem Resteessen; es wird aber als preiswert und sättigend beschrieben. Nackten Horror verbreitet hingegen durch schiere Erwähnung das schottische Haggis, ein mit Innereien, Nierenfett und Hafermehl gefüllter Schafsmagen, der sich von erwähnter Leibspeise des früheren Kanzlers Kohl nur durch noch widerlichere Zutaten unterscheidet.
Existentielle Trostlosigkeit eines Kantinenhackbratens
Wie im Horrorfilm stellt sich aber auch beim Essen stets die Frage, ob ein subtiler Grusel auf Dauer nicht viel schreckenerregender sein kann als der ins Gesicht springende Holzhammer. Die existentielle Trostlosigkeit eines kantinenüblichen Hackbratens mit Jägersoße (an Brokkoli und Kochbeutelreis) oder eines daheim zubereiteten Putenschnitzels mit Rahmwirsing und Tütenkartoffelpüree kann durch noch so viele verdeckt in die Mahlzeit gegebene Insekten in seiner Gänsehautdimension kaum übertroffen werden, selbst wenn es sich bei letzteren um lebende Skorpione handeln sollte.
Zumal nicht vergessen werden darf: Zu einem abstoßenden Essen gehört nicht nur ein banales Rezept, sondern auch eine ungute Zubereitung, die nichts als das Verkochte oder das halbroh Servierte kennt, eine spürbare Unterwürzung, die nur das Geschmacklose versus Versalzene hinkriegt, sowie eine unzufriedene Essperson, die das Essen stumpf, hungrig, jedoch ohne Appetit und mit jeder Menge Aggression in sich reinmampft – und solche Leute gibt es in Deutschland wie staubiger Sandkuchen zum Nachmittagskaffee.
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