Die Wahrheit: Das Zeichen im Keller
Ganz unten, im tiefsten Untergeschoss des Wohngebäudes, tut sich Unheimliches. Für das es keinerlei Erklärungen gibt.
W ieder will jemand im Keller des riesigen alten Gebäudes, in dem wir ein paar trockene, nicht zu kalte Räume bewohnen, etwas Außergewöhnliches entdeckt haben. Diesmal ist es angeblich ein großes, äußerst beunruhigendes Zeichen an der Wand.
Was sind das nur für Menschen, die in unserem Keller dauernd solche Entdeckungen machen! Wir selbst haben nie dergleichen wahrgenommen und können es auch jetzt nicht. Erst nachdem man uns eindringlich darauf aufmerksam gemacht und lange genug vor der betreffenden Wand herumgefuchtelt hat, glauben auch wir allmählich etwas zu erahnen, das vage den Behauptungen der eifrigen Fremden entspricht. Die sind damit keineswegs zufrieden, sondern drängen uns, etwas zu unternehmen. Wir wissen aber nicht, was überhaupt unternommen werden könnte.
Eine Ärztin wird gerufen. Sie betrachtet intensiv die Stelle an der Wand und kann anscheinend sehen, wovon die Fremden reden. Vermutlich in der Absicht, das so beunruhigende Zeichen einzuordnen, fragt sie, ob bei den im Haus Wohnenden, also bei uns, eine bestimmte politische Ausrichtung vorherrsche. „Im Gegenteil!“, wird wahrheitsgemäß erwidert. Ich kann nicht verstehen, wie die Frau auf eine derartige Frage gekommen ist, schweige jedoch dazu.
Weitere Erkundigungen beliebt die Ärztin nicht einzuziehen, sondern ermahnt uns vielmehr: „Denken Sie immer daran: Der Keller ist ein äußerst gefährlicher Ort, besonders nachts, wenn er unkontrollierbar in die Tiefe und die Weite wächst. Meiden Sie ihn dann nach Möglichkeit! Verhängnisvolle Räume und Abstiege entstehen in der Nacht. Wie leicht verläuft man sich und findet nicht mehr hinaus! Wer sich in diese verhängnisvolle Sphäre wagt, wird unweigerlich von bösartigen Wesen angegriffen! Als Medizinerin lege ich dringend nahe, dann sofort furcht- und rücksichtslos auf die Unholde einzuschlagen, bis sie vergehen. Sonst nisten sie sich wie Viren in den Gedanken der von ihnen Überfallenen ein.“
Wir stehen stumm dabei und lauschen ihren Worten. Zum Schluss gibt die Ärztin uns den Rat: „Hören Sie zur prophylaktischen Stärkung Ihres geistigen Immunsystems viele Fugen, am besten von Johann Sebastian Bach. Doch auch die von Mozart sind wirksam.“
„Ändert sich denn durch das Zeichen an der Kellerwand etwas an unserem Leben?“, will ich von der Ärztin wissen. Nach Art eines Zollbeamten reicht sie mir etwas, das aussieht wie eine runde gläserne Kuchenplatte, die, als ich sie ohne zu überlegen in Empfang nehme, quadratisch wird. Erschrocken werfe ich mir vor, den Gegenstand nicht zurückgewiesen zu haben, denn ich befürchte, nun in neue Schwierigkeiten geraten zu sein. Weniger an mich als an alle gerichtet, antwortet die Ärztin: „Manchmal scheint ein neuer Anfang möglich.“
Die Fremden, die das Ganze ausgelöst haben, sind fortgegangen. Auch wir begeben uns in unsere Wohnräume zurück.
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