Die Wahrheit: „Wir trippen im Geburtskanal“
Das Wahrheit-Interview: Der LSD-Therapeut Jim Manzarek alias Timo Lihry über wirkende Wirkstoffe und wilde Wege in den wundersamen Rausch.
Jim Manzarek, alias Timo Lihry, ist nicht leicht zu finden. Nicht etwa, weil er im Untergrund arbeitet. Deutschlands erster legal praktizierender LSD-Therapeut sitzt gut versteckt in einem kleinen Raum tief im Bauch der Berliner Charité. Zum Interview mit der Wahrheit empfängt er in einem gebatikten Arztkittel, eine Maßnahme, „um Seriosität und Verständnis für die Patientinnen und Patienten zu vereinen“.
taz: Herr Lihry, wir dürfen Sie doch so nennen, lassen Sie uns mit etwas Grundsätzlichem anfangen: Wie genau wirkt LSD überhaupt?
Timo Lihry: Rein biologisch wirkt LSD im Körper als partieller Agonist, also teilweise Handelnder, an diesen Serotonin-Rezeptoren. Die psychedelische Wirkung erklärt das aber kaum. Warum viele beispielsweise ihre Hände so lustig finden, bleibt unklar – Blackbox Gehirn eben. Wir wissen aber, dass LSD Regionen im Gehirn verbindet, die vorher kaum verbunden waren. Plötzlich glauben Sie so den Satz „Nachts ist es kälter als draußen“ wirklich zu verstehen.
Was passiert denn sonst noch so, wenn man LSD nimmt?
Filter im Kopf pausieren. Einer meiner Patienten betrachtete einen Baum für lange Zeit von unten, vergaß das Konzept Baum, dachte irgendwann „Das sieht von unten fast aus wie ein Baum“ – was es ja auch war – und lachte dann zehn Minuten lang über seine Kapriolen des Verstands.
Woher kriegen Sie überhaupt Ihr LSD?
Lange direkt aus Laboren. Mittlerweile aber wieder von der Straße, genauer gesagt von der Liebigstraße 3a in Berlin-Friedrichshain, wo es einen Entrepreneur gibt, der den Staat an der Nase und mich zu einem guten Shoppingerlebnis führt.
Und wo verabreichen Sie das LSD so, wo finden die Sitzungen denn statt?
Aktuell noch an von den Patienten gewählten Orten. Ich würde aber ein klinisches Umfeld bevorzugen! Leider ist das Budget meiner Abteilung für den Posten Slinky Toys, Fraktalbrillen und bunte Steine eher klein. Deshalb begleite ich meine Klienten in Schwitzhütten, Lofts oder Gartenlauben. Ja, das macht mir oft Spaß, stellen Sie sich mal vor, Sie würden bezahlt für eine begeisterte Unterhaltung über die Flugmuster von Gewitterfliegen oder das Malen mit Fingerfarben …
Bei was kann denn eine LSD-Erfahrung hilfreich sein?
Akute Verkrampftheit (lacht). Ich persönlich denke, dass das selige Anstarren einer Steinwand Ihnen zum Beispiel Genügsamkeit lehrt. Wer sich stundenlang mit einem Baum, einer Wiese und den Wolken beschäftigen kann, der strebt nicht mehr nach dem Exklusivtrip nach Sylt, sondern findet Schönheit fast überall. Eine weitere spannende Beobachtung: Einige Raucher haben nach ihrem Trip aufgehört zu rauchen. Allerdings haben andere auch mit dem Rauchen angefangen.
Ach, nein …
Ja, eine Yoga-Lehrerin aus Magdeburg hat plötzlich ihre innige Verbindung zu den aztekischen Schamanen und deren rituellem Tabakgebrauch erkannt. Sie wollte dann noch während unserer Session eine schmöken. Kein Wunder, die „Essenz eines heiligen Naturproduktes“ aufzunehmen, wie sie es beschrieb, das bringt ja schon einen nüchternen Hobbyesoteriker an die Ziese.
Und sonst so?
Ein anderer Patient hat sein Augenlicht wiedererhalten. Also genauer gesagt: Wir standen auf einem Plateau und er hat plötzlich erkannt, dass er kurzsichtig ist. Und eine Brille braucht. Auch der Umgang insgesamt mit Menschen kann nach dem Trip leichter fallen. Wenn Sie sich einmal nach 150 Mikrogramm LSD verwirrt und mit wackligen Knien an einer Becks Ice schlürfenden Meute Dorfjugendlicher vorbeigeschlichen haben, dann ist die silberne Hochzeit von Tante Sybille nüchtern ein Klacks.
Birgt die Therapie mit LSD denn auch Gefahren, Herr Lihry?
Aber selbstverständlich. Schon der erste LSD-Prophet, Timothy Leary, verlor durch LSD seine Dozentenstelle in Harvard. Ansonsten geht irgendwo runterfallen wegen LSD immer. Wobei die Gefahr hier gering ist, denn dafür müssten Sie auf LSD ja erst mal dort hochkommen, wo sie runterfallen könnten, und das ist, wenn Sie drauf sind, gar nicht so leicht.
Herr Lihry, zum Abschluss möchten wir Sie doch noch fragen: Wie sollte sich die LSD-Therapie in Zukunft verändern?
Also zunächst sollte man den Pappen mal Vitamine zusetzen, denn die klassische Winterdepression hängt oft auch mit Vitamin-D-Mangel zusammen (lacht). Ansonsten wünsche ich mir auf verschiedene Behandlungsziele abgestimmte Räume: Konflikt mit der Mutter? Wir trippen im Geburtskanal. Höhenangst? Hütte in den Alpen. Lampenfieber? Wie wäre es mit einer Runde Powerpoint-Karaoke? Die Möglichkeiten sind ja doch recht vielfältig.
Absolut, und vielen Dank nochmal für das Gespräch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs