Die Wahrheit: Geld alle? Neues holen!
Alles wird teurer. Hier eine ankurbelnde Predigt hoch vom tiefen Ross der Inflation mit – Achtung – super Servicefaktor.
Viele jammern ja gerade rum, wie teuer jetzt alles ist, deshalb an dieser Stelle mal ein Tipp: Ich selbst achte null darauf, was irgendwelche Sachen kosten. Ich kaufe mir einfach immer, was ich haben will: Hier ist das Geld, her mit der Ware, zack und fertig. Genau das würde ich jedem raten – das fühlt sich so viel entspannter an. Ich habe damit nur die allerbesten Erfahrungen gemacht, für mich persönlich war das ein echter Game Changer. Früher war ich nämlich auch mal so ein verkniffener Pfennigfuchs, der vor jeder Ausgabe ewig grübelte, ob ich sie mir denn leisten könnte. Das ist zum Glück lange vorbei, doch manchmal denke ich voller Scham und Selbstekel an die Zeit zurück, da ich mir jeden Restaurantbesuch ab zwei Sternen aufwärts mit meinem kleinlichen Lamento verdarb.
Mein gestörtes Verhältnis zum Konsum beeinträchtigte im Grunde jeden Aspekt meines Lebens und meiner Persönlichkeit: Die Stimmung, die Ausstrahlung, die Verdauung, mein ganzes Denken, Fühlen und Handeln. Was für ein erbärmlicher Wicht ich damals war. Verkniffenes Gesicht, grüngelbgrauer Teint, holziges Haar, brüchige Nägel, Magengrimmen und ständige Blähungen von dem vielen Brot, das mir billig den Bauch befüllte.
Geflickte Klamotten, eine dunkle Wohnung – dass mit so jemand keine was zu tun haben wollte, versteht sich von selbst. Ich saß die ganze Zeit nur einsam zu Hause rum und jaulte über die Preise, anstatt rauszugehen und mir was Schönes zu kaufen. Im Nachhinein schmerzt die vergeudete Lebenszeit.
Egal, was die Dinge kosten
Doch seit mir egal ist, was die Dinge kosten, bin ich praktisch ein anderer Mensch. Ich freue mich des Lebens, esse gut, reise viel und habe total tolle Sachen. Das einzige Geheimnis ist die Einstellung – positiv oder negativ, und die ist ganz allein unsere Entscheidung. Es macht nämlich einen Riesenunterschied, ob man an einer Tankstelle vorbeifährt und mault: „Oh, nein, zwei Euro fünfundfünfzig, wie soll ich das bezahlen, ich glaub’s nicht, diese Schweine!“, oder: „Hm, lecker Benzin, wie gut und nützlich das schon riecht. Gleich hau ich mir den Tank bis zum Kragen mit 102er Ultimate voll, und dann kann ich ganz schnell überall hinfahren, wo es so richtig schön ist!“
Na, wie fühlt sich das an, merkt ihr was? Probiert es doch mal, Freunde, und legt einfach nur den Schalter um: Ihr werdet es sehen. Das Karma knallt mit erhöhter Oktanzahl durch eure Chakren und lässt den Lebensmotor wieder schnurren wie ein Kätzchen. Schluss mit dem würdelosen Gefeilsche und den knauserigen Krokodilstränen!
Wer hat schon genug Geld?
Nun werden manche einwenden, okay, ich hab aber vielleicht gar nicht genug Geld, um das Erwünschte zu bezahlen, was wäre denn dann? Denen kann ich nur antworten: Erstens kann man ja vieles heute auch mit Bitcoin bezahlen.
Und zweitens: „Genug Geld“, meine Güte, wer hat schon genug Geld; das ist doch alles relativ, ich hab auch nicht genug Geld, in dem Sinne, genug Geld kann man schließlich nie haben.
Das Ganze soll hier doch kein alberner Wettbewerb sein, wer das meiste Geld hat. Nicht lamentieren also, sondern kaufen. Und vor allem nicht kleinmütig andere beschuldigen, nur weil es einem selbst an Laisser-faire und Lockerheit fehlt. Das kann unsere Gesellschaft nun wirklich am allerwenigsten gebrauchen, denn genau diese miesepampelige Krümelkackerei und dieser alles zersetzende Neid sind es, die ihren Zusammenhalt mit ihrem schleichenden Gift zersetzen.
Das sind wir dem Staat schuldig
Im Gegenteil – die kleine Ermahnung kann ich euch an dieser Stelle leider nicht ersparen –, wir müssen sogar noch viel mehr ausgeben, sonst verstärkt sich durch den zurückhaltenden Privatkonsum noch die Inflation. Das sind wir dem Staat schuldig, der schließlich für uns sorgt wie eine Mutter für ihr Kind. Zwar eine Mutter mit ausgeprägtem Regretting-Motherhood-Syndrom, aber dafür kann sie ja nichts. Wer nichts kauft, ist jedenfalls ein Arsch: so prägnant könnte man das zusammenfassen. Ein verantwortungsloser, unsozialer Geizarsch, eine Wegbereiterin des Staatsbankrotts, ein Nagel im Sarg der Wirtschaft.
Zum Glück ist Geld ja bloß ein genormter, vielseitig verwendbarer Anrechtsschein, ein Mittel zum Zweck. Wozu sollte man diese an sich wertlosen, bunt bedruckten Papierfetzen horten, die man doch für Hummercocktails, Strandurlaub auf den Salmonellen und verfünffachte Heizkostenvorschüsse ausgeben kann. „Habt keine Angst“, möchte ich den Zaudernden und Verzagten, den Frierenden und Bedrängten zurufen. „Es ist nur Geld! Einfach weg damit und gut ist!“
Wenn das Geld alle ist, holt man sich eben neues – das ist doch jetzt wirklich nicht so schwierig: EC-Karte in den Automaten, den gewünschten Betrag anklicken oder mit den Zifferntasten eingeben, ratter, ratter, und schon hat man wieder Geld. Wenn ihr Probleme mit der Bedienung habt, kann ich euch gerne dabei helfen. Ihr werdet sehen, wie gut sich das anfühlt, wie ermächtigt, die Taschen voller Geld, innerhalb weniger Sekunden und nur mit ein paar Knopfdrücken. Das ist das Geile am Kapitalismus, das hat er großartig eingerichtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste