Die Wahrheit: Rettet die Deutsche Schabe!
Immer mehr heimischen Arten geht es an den tierischen Kragen – auch einem unserer schönsten lichtscheuen Dunkelviecher.
Die Deutsche Schabe ist bedroht. Wer hätte das gedacht, und vor allem je bedauert? Doch erinnern wir uns als mahnendes Beispiel an die gute alte Hausratte. Um die brauche man sich keine Sorgen zu machen, wiegelte der BUND lange ab, die erhalte sich von ganz alleine; und wenn nicht, dann sei es „auch nicht weiter schade um das Arschloch“. Seit sie durch die skrupellose und ungehobelte Wanderratte verdrängt wurde, sehnt man sich auf einmal nach der Hausratte zurück. Die hatte sich wenigstens noch die Zähne geputzt und beim Gähnen die Pfote vor den Mund gehalten. Doch zu spät: Sie ist vom Aussterben bedroht.
Der Klimawandel verschärft noch das Problem. Die Deutsche Schnupfenmikrobe ächzt unter dem Verdrängungsdruck ihrer Sumpffieber übertragenden Konkurrentin aus dem Süden, und auch die Deutsche Zecke steht längst mit dem Rücken zur Wand. Und schließlich machen sich immer mehr wärmeliebende Kakerlakenarten, wie die südeuropäische Bernstein-Waldschabe, in unseren Breiten breit. Auf Kosten natürlich der Deutschen Schabe.
Professor Hartmut Siegel vom Höcke-Institut für heimische Artenvielfalt (HIHA) in Osterode im Harz findet für diesen Missstand deutliche Worte: „Für Unsummen werden x-beliebige, von einer überhitzten Aufmerksamkeitsökonomie medial hochgepushte Pandabären und Okapis mit Kopfhautmassagen und Walderdbeerkonfitüre gepampert, während man willkürlich als Schädlinge geframte Tiere rechts liegen lässt, obwohl sie seit Jahrmillionen fester Bestandteil hiesiger Fauna sind.“
Die krassesten Beispiele kennt jedes Kind: Der gescheckte Toilettenarschkneifer, die Bergbrillenschlange, die halbfiese Hautfressermade – sie alle mussten durchsetzungsfähigeren Neozoen weichen, die hier plötzlich ein ideales Klima vorfinden. Statt unserer altvertrauten kleinen Freunde tummeln sich bei uns nun rotzfrech Tigermücke, Goldschakal und eben Bernstein-Waldschabe.
Nichtsnutziges Herumwuseln
Die ist zwar kein Krankheiten verbreitender Kulturfolger wie die Deutsche Schabe, sondern ein Biomasse verarbeitender Nützling, der ein ehrliches Leben an der frischen Luft gegenüber dem nichtsnutzigen Herumwuseln unter Küchenmöbeln bevorzugt. Doch das spielt im Ansehen keine Rolle, denn er ist nun mal nicht von hier.
Und genau das ist der Punkt, an den clevere Artenschützer psychologisch anzudocken wissen. In Deutschland schwor man sich, aus Fehlern zu lernen und den sträflich unterschätzten einheimischen Arten wieder mehr Wert beizumessen. Und solange man das Etikett „Made in Germany“ selbst den pannenintensivsten Autos wie ein Gütesiegel anheften kann, klappt das erst recht bei Ungeziefer. Allein die Herkunftsbezeichnung Deutsche Schabe konnotiert das lichtscheue Geschmeiß zum willkommenen Landesgenossen um, ein Effekt, wie man ihn bereits bei Deutschem Schäferhund und Deutscher Bank kennt. Herkunft adelt – Hauptsache, deutsch.
Was die Deutschen anpacken, machen sie gründlich. In sämtlichen Zoos gibt es jetzt geräumige Freilaufgehege für die Deutsche Schabe. Auf jedes der wertvollen Kerbtiere entfallen dabei drei Pflegekräfte, ein Betreuungsschlüssel, von dem unsere Alten nur träumen können.
Uneigennütziger Einsatz
Daneben wird auch das private Engagement gefördert. Die Zuchtpatenschaften für arische Kakerlaken gehen weg wie warme Semmeln. So hat sich Familie Müller aus Göttingen bereit erklärt, beim Rettungsprogramm für die Deutsche Schabe mitzumachen und in ihrer Küche ein Rückzugsbiotop für die gefährdete Spezies einzurichten. Neben dem Klingelschild ihrer Neubauwohnung im 14. Stock verweist eine Messingtafel des World Cockroach Fund (WCF) in warmen Worten auf den uneigennützigen Einsatz der Mieter: „Seit 2020 offizielle Patenfamilie der Deutschen Schabe, gez. Prof. Hartmut Siegel.“
„Wir müssen gar nicht viel tun.“ Sieglinde Müller führt uns als Erstes in die Küche. „Nur regelmäßig Nahrungsreste verstreuen, besonders am Boden, in der Nähe der Fußleisten und in den Vorratsschränken.“ Um die sensiblen Insekten nicht zu stressen, bestehe eine unausgesprochene Vereinbarung: Am Tag nutze die Familie die Küche, während man nachts in der gesamten Wohnung den Einsatz künstlicher Lichtquellen weitgehend vermeide.
Ein Blick unter den Herd beweist, dass sich der Bestand zumindest vor Ort bestens zu erholen scheint. Die Natur ist stark, der Kampf noch nicht verloren. Doch die allerschönste Überraschung kommt noch. Denn während wir auf dem Sofa eine schnelle Bluna-Dujardin genießen, räumt eine offensichtlich aus einem Staubsaugroboter und einem Streifenhörnchen rückgezüchtete Hausratte im Hintergrund das Wohnzimmer auf und sortiert die CDs im Ständer nach Genres. Hier ist es den Müllers perfekt gelungen, das Angenehme mit dem Artenerhalt zu kombinieren.
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