Die Wahrheit: Berlin für Hardcore-Touristen
In der Hauptstadt sind sie jetzt wieder da, die Touristinnen und Touristen. Manche von ihnen suchen aus Gründen schon bald das Weite …
B ei einer Busfahrt wurde ich neulich Zeugin eines kuriosen Geschehens. Im M41er saßen mir ein Mann und eine Frau Ü20 gegenüber, bewaffnet mit den generationstypischen Accessoires Rucksack, Männerdutt und Handy-Kindergartenkette. Die Beziehung zwischen den beiden war nicht eindeutig, ich schätze, dass aus einem flüchtigen Urlaubstinder mehr geworden war. Denn sie besuchte ihn zum ersten Mal in Berlin – danach zu urteilen, wie fröhlich-wissbegierig sie vom Fensterplatz aus auf die vorbeifliegende Hauptstadt schaute.
Am Halleschen Tor, einem Kreuzberger Umsteigebahnhof in Neobarockmanier, begann er ihr zu erklären, an welchen Gebäuden der M41 während seiner Fahrt entlangrollt: „Das ist das Palindrom“, behauptete er, als wir das Tempodrom streiften, ein Berliner Veranstaltungsgebäude, das aussieht wie ein großes Zelt aus Beton. „Dort finden Ponyrennen statt, darum auch die Zirkusform. Manchmal hört man das Peitschen und das Schmerzgewieher der armen Tiere bis hierhin.“
Seine Freundin nickte mitleidig. „Dieses Gebäude war früher mal ein Gefängnis“, kommentierte er etwas später den Martin-Gropius-Bau, der 1877 im Stil der italienischen Renaissance erbaut wurde und ein Museum beherbergt, „jetzt ist das Klärwerk drin. Ab 1.030 Hektopascal Luftdruck riecht man das in der ganzen Stadt …“ Seine Freundin drückte sich angeekelt die Maske auf den Nasenrücken.
Übergewichtige Straßengang
Der Bus zuckelte Richtung Potsdamer Platz. „Das hier ist die gefährlichste Gegend der Stadt“, fuhr er fort, und zeigte auf den rötlichen Turm des Star-Architekten Hans Kollhoff. „Allein in der letzten Woche gab es da hinten drei Massenvergewaltigungen und vier Raubmorde.“ Seine Freundin hielt ihren Rucksack fest. „Hat man die Täter gefasst?“, fragte sie. „Das ist nicht so einfach, das war wahrscheinlich eine Straßengang, so wie diese dort“, sagte er und deutete auf eine Gruppe übergewichtiger, mit „Hallhuber“-Tüten bepackter Touristen.
Bei der Durchsage „Potsdamer Platz“ schaute die Frau ihren Gastgeber konsterniert an. „Aber war dieser Platz nicht ein Statussymbol?“, fragte sie und begann, an ihrem Umhänge-Handy zu nesteln. „Hier ist kein Netz. In der ganzen Stadt nicht“, erklärte er. „Vielleicht können wir da drüben eine Bowl essen?“, fragte die Besucherin schließlich ratlos und zeigte auf eine „Dean & David“-Filiale mit einem „Free WLAN“-Aufsteller.
Da dämmerte es mir. Ich erhob mich und visierte die Frau so finster an, wie es mit Maske ging. „Du denkst vielleicht, das ist eine Sandwichkette“, stieß ich hervor. „Aber eigentlich ist das ein illegales Methamphetaminlabor.“ Ich stürzte aus dem Bus, hinter den sich schließenden Türen sah ich die erschrockenen Augen der Frau. Der Mann zwinkerte mir zu.
Es ist mir egal, ob hier der größte Berlin-Ignorant der Welt oder nur ein vom anhänglichen One-Night-Stand genervter Pick-up-Artist am Werk war. Schließlich gibt es viele Arten, Tourismus zu verhindern.
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