Die Wahrheit: Prometheus auf Speed
Überall in Deutschland brennen die Wälder. Aber wer ist schuld an dem knisternden Desaster? Eine gezielte Brandstiftersuche
Mit den Hundstagen ist in Deutschland auch die Hauptsaison für Pyromanen angebrochen. Von Brandenburg bis Bayern: Überall brennt es lichterloh. Täglich fällt ein Waldstück von der tausendstel Größe des Saarlands den gefräßigen Flammen zum Opfer. Doch wer sind die Verursacher, wie die Menschen dahinter, und was bewegt sie zu ihrem ja nicht völlig unproblematischen Tun? Man weiß so wenig über sie, denn am liebsten bleiben sie bescheiden im Hintergrund. Wir aber wollen es wissen und haben uns mit Florian Semmler, 51, verabredet.
Am vereinbarten Treffpunkt zündet sich die waldbekannte Szenegröße erst mal zur Entspannung einen Zigarettenladen an. „Rennen: jetzt!!“, fordert er den konsternierten Reporter auf, während aus dem Kiosk Qualm und Gebrüll dringt. Wir nehmen die Beine in die Hand und laufen, bis wir ein nettes Straßencafé gefunden haben, um unser Gespräch in aller Ruhe fortzusetzen.
Es macht großen Spaß, dem erfahrenen Diplompyromanen, der als persönliche und berufliche Vorbilder Kaiser Nero, Christian Lindner und Arthur „Bomber“ Harris nennt, beim Fachsimpeln über Pyromanie und seinen eigenen Werdegang zu lauschen. Von Kindesbeinen an interessierte sich Semmler brennend für Feuerquellen aller Art. „Ich war kein gewöhnlicher Junge“, gibt er zu Protokoll. „Messer, Gabeln, Scheren haben mich völlig kaltgelassen. Dafür habe ich schon als Dreijähriger mein Kinderzimmer mithilfe eines Steins, etwas Birkenrinde und einer zwölf Dioptrien starken Brille abgefackelt. Meine Eltern hatten praktisch keine Chance.“
Das Feuer zu den Menschen tragen
Die ständigen Umzüge sowie der exorbitante Anstieg der Hausrat- und Haftpflichtversicherungsprämien trieben die Familie schließlich in den Ruin. Die Härten und Ungerechtigkeiten des Lebens, die den kleine Florian auf diese Weise früh ereilten, prägten ihn nachhaltig und entzündeten nun erst recht die Flamme der Leidenschaft in seinem Herzen: Wie ein Prometheus auf Speed würde er das Feuer zu den Menschen tragen – in jede Stube, jedes Haus und jeden Wald.
Folgerichtig hat er sein Hobby zum Beruf gemacht, wenngleich einem traditionell unbezahlten und schlecht beleumdeten. Vollkommen zu Unrecht, denn die Pyromanie ist heutzutage eine hochkomplexe Wissenschaft. So durchlief Semmler eine gründliche Ausbildung von der Pike auf: erst Feuermelder, später Brandbeschleuniger und schließlich das Studium am August-Sternickel-Institut (ASI) für Brandstiftung in Stuttgart-Feuerbach.
Mordbrenner an Tankstelle
„Natürlich bin ich viel lieber im Wald“, versichert der versierte Mordbrenner, während er mit Kennerblick die Tankstelle an der Straßenecke mustert. „Ich liebe nun mal die Natur. Den beißenden Rauchgeruch, das Knacken und Knistern in der heißen Sommerluft, die unnachahmlichen Laute der in ihren Nestern brennenden Vögel.“
Gerade im August müsse man als Pyromane einfach draußen unter freiem Himmel arbeiten. „Feuragosto“, wie die Italiener sagen, bedeutet für seine Branche Hochkonjunktur unter vergleichsweise optimalen Bedingungen – jetzt oder nie: „Was man im Sommer nicht verbrannt, im Winter geht schwer von der Hand“, zitiert Florian Semmler auswendig aus dem fünften Buch Herostrat.
In der nassen Jahreszeit arbeitet er als Skilehrer, um nicht tatenlos zu Hause zu sitzen. Im Frühling beginnt dann endlich die Vorbereitung auf die bevorstehende Saison. Benzinkanister werden aus dem Keller geholt, abgestaubt und befüllt, Feuerzeuge repariert, Stofflappen zurechtgeschnitten, Zündschnüre sauber aufgewickelt, Zeitzünder getaktet, Forstkarten- und Wetter-Apps aktualisiert sowie Asbestanzüge geflickt. Mit den Temperaturen steigt auch die Vorfreude. „Erst brennt es nur unter den Nägeln, und dann auf der Seele“, beschreibt er seine Gefühle.
Der Stamm der Pyromanen
Auch geschichtlich weiß der begnadete Brandleger hervorragend Bescheid. So stammt der Begriff des Pyromanen ursprünglich vom gleichnamigen, über dreißigtausend Jahre alten Volksstamm, der sich während der letzten Eiszeit von Feuerland aus über die ganze Welt verbreitete. Und schon damals leistete das feurige Völkchen ganze Arbeit: So wissen heute nur noch wenige, dass einst auch die Antarktis, die Wüste Gobi und selbst der Indische Ozean dicht bewaldet waren. Davon künden die zahlreichen, kunstvoll in Höhlenwände gebrannten Abbildungen der steinzeitlichen Pyromanen, die feuerlegende Menschen, brennende Bäume, und gewaltige Feuersbrünste zeigen.
Doch gleich geht es wieder um die Gegenwart. „Der Klimawandel ist für unsere Zunft ein Segen.“ Semmler grinst. „Natürlich hilft der Mensch auch nach, wo er kann. Von unseren Leuten wählen fast alle FDP. Auf die kann man sich verlassen. Unsere Bedingungen werden immer besser. In guten Jahren eröffnet sich uns schon im März so eine erste kleine Vorsaison.“
Freiberufler ohne Ferienbindung
Auch für die Nachsaison ist gesorgt. Wenn es hier im September, Oktober langsam kühler wird, reist Semmler gern in südlichere Gefilde. „Spanien, Portugal und besonders Griechenland: Dann ist es dort ohnehin am schönsten“, schwärmt der kinderlose Freiberufler, der an keine Ferienzeiten gebunden ist. In Südeuropa herrschen zu dieser Jahreszeit ideale Bedingungen, so dass sich die heimische Waldbrandsaison individuell verlängern lässt.
„Meine Lieblingsinsel ist Pantafotia, eine kleine, zum Glück noch immer teilweise bewaldete Insel, die zur Gruppe der spärlichen Sporaden gehört. Da nehme ich mir gern ein kleines Zimmer in einer familiengeführten Unterkunft. Strandnähe ist für mich ein Kann, Ruhe, Abgeschiedenheit und überwiegende Holzbauweise jedoch ein Muss. So lerne ich jeden Herbst auch automatisch neue Unterkünfte kennen.“
„Das milde Licht, das noch immer warme Meer und der herrliche Duft von Thymian, Feigen- und Olivenbäumen … “, hier entpuppt sich der hartgesottene Feuerteufel auf einmal geradezu als goethescher Romantiker –, „… wenn die brennen, verbreiten sie ein unvergleichliches Aroma. Von der Erinnerung zehre ich den ganzen langen Winter über. Ich glaube, wenn ich die nicht hätte, würde ich schier wahnsinnig werden.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?