Die Wahrheit: Mit Nacktschnecke in den Ferien
Diese Tiere können viel: Ihre Häuser selbst mit Eiweiß reparieren oder Tierfilme gucken. Vor allem aber können sich Schnecken Zeit lassen.
E ine Schleimspur weist den Weg zum versteckt liegenden Ferienhaus im Weserbergischen. Die dafür verantwortliche Schnecke wartet vor der Tür und möchte anscheinend mit hinein, schließlich hat sie keine Bleibe: Es handelt sich, wie ich sofort sehe, um eine Rote Wegschnecke, diese gehören zu den obdachlosen Nacktschnecken.
Meine Schneckenkenntnisse sind nämlich ganz passabel. Neulich bin ich auf einer Veranstaltung im Garten der französischen Botschaft aus Versehen auf das Haus einer Weinbergschnecke getreten, es krachte leise unter meinem Pump. Kurz überlegte ich, ob ich die Schnecke zum Büfett tragen und in den Salat werfen sollte, da wäre sie erstens nicht aufgefallen und zweitens vielleicht sogar nach Dita-Von-Teese-Art nackt in einer Schale Champagner im Gourmetschlund der Botschafterin gelandet.
Aber in „Brehms Tierleben“ heißt es, dass Weinbergschnecken Risse im Haus problemlos selbst reparieren können, also stellte ich ihr ein bisschen von meinem Œuf Cocotte vor die Fühler – denn Schnecken brauchen für die Renovierung Eiweiß, um den Kalk für die Wände auszuhärten – und wartete. Doch wer Schnecken kennt, der weiß: Sie lassen sich nicht hetzen. Auch die Nacktschnecke vor der Ferienhaustür hat Stunden später meine Einladung nicht angenommen – im Gegensatz zu 300 Mücken. „Komm rein, sonst darfst du morgen nicht mit zum FKK-Strand“, sage ich zu ihr. Keine sichtbare Reaktion. Ich ziehe ein weiteres Ass aus dem Ärmel und baue eine Partie „Tempo, kleine Schnecke!“ auf dem Tisch auf, der von der Tür aus gut zu sehen ist.
Bei dem Brettspiel müssen bunte Holzschnecken Feld für Feld eine Strecke zwischen gemalten Käfern und Spinnen zurücklegen, wenn der Farbwürfel ihre Farbe zeigt. Und das kann dauern. Das elfstündige Wimbledon-Match zwischen John Isner und Nicolas Mahut ist nichts dagegen.
Im Kriechtieruniversum ist „Tempo, kleine Schnecke!“ das aufregendste Spiel der Welt, und wenn man sich mit dem Widerspruch im Namen erst mal angefreundet hat, kann so eine Runde zu einem echten White Knuckle Ride geraten.
Als ich am nächsten Morgen zerstochen aus dem Bett krieche, glitzert die Schleimspur im ganzen Wohnzimmer, und ich deduziere: Die Schnecke hat das Match gewonnen, dann von meinen Erdbeeren genascht, hernach führt ihre Spur zum Regal mit der DVD-Sammlung und endet auf der DVD „Dr. Dolittle“. Darin spielt Rex Harrison 1967 einen der Tiersprachen mächtigen Wissenschaftler, der auf der Suche nach einer rosafarbenen Riesenschnecke die Welt bereist. Vorsichtig ziehe ich die Hülle heraus – die Schnecke hält sich an ihrer Ecke fest und schaut mich sehnsüchtig an.
„Okay, wir gucken Rex Harrison“, sage ich, „aber ich warne dich: Wenn du quatschst, mache ich dich zur Anti-Aging-Snail-Maske. Das ist der letzte Schrei in der koreanischen Kosmetik.“ Die Schnecke seufzt und kriecht ergeben zu mir aufs Sofa.
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