Die Wahrheit: Angriff der Brüllwürstchen

Bluetoothboxen jugendlicher Parkbesucher stellen ein immer größeres Problem für die Umwelt dar. Eine Wahrheit-Recherche.

Eine Karikatur mit grauen Vogelküken und Sprechblase

Illustration: Dorthe Landschulz

Ein lauer Frühsommertag im Stadtpark. Die Sonne nimmt langsam den Horizont in den Blick, die Menschen auf den bunten Decken werfen immer längere Schatten. Der Park ist rappelvoll, und unser Lärmmessgerät zeigt 98 Dezibel an. Arbeitsschutzrechtlich müssten wir bei unserer Recherche Gehörschutz tragen: Gekreische, Gejohle, Gespräche auf Italienisch – einer Sprache, die werksseitig mit 6 Dezibel mehr ausgeliefert wird.

Zahllose Bluetoothboxen dröhnen um die Wette. Es konkurrieren Techno, Rap, R’n’B und Deep House. Die grüne Lunge der Stadt röchelt. Zwei Stockenten auf dem Teich nehmen Reißaus und halten ihren Küken die Ohren zu. Wir zählen nicht weniger als 23 Boxen auf einem Hektar Parkfläche. Das ist Rekord.

„Wir beobachten diese Entwicklung mit Sorge“, brüllt uns Dr. Severin Flock über die abendliche Kakofonie des Chillens hinweg. Er ist vom Verein Stadtvogelschutz e. V., früher zählte er hier im Park Singvögel und Nistplätze, heute zählt er Brüllboxen. „Es wird echt Zeit, dass die Clubs wieder aufmachen“, schreit Flock, „noch einen Partysommer übersteht die Tierwelt nicht!“

Wildvögel stresst diese Entwicklung. Sie müssen lauter singen, das kostet Kraft. Manche verwirrt die akustische Dauerbeschallung. „Wir haben einen Zilpzalp beobachtet, der singt nur noch ‚Zilp‘, das aber in 120 Beats per Minute!“ Die Entwicklung sei erst wenige Jahre alt, berichtet Flock, als wir den Park verlassen und uns neben einer mehrspurigen Straße wieder normal unterhalten können. „Früher brauchte man für ordentlichen Wumms im Freien noch einen Ghettoblaster, der mit acht Babyzellen bestückt werden musste, die sauteuer und trotzdem sofort alle waren. Und man musste stapelweise CDs einpacken. Da war ein tragbares Grammofon aus den Zwanzigern leichter.“

Zudem kamen Ghettoblaster eher auf Industriebrachen und betonierten Innenstadtplätzen zum Einsatz, wo dann allenfalls ein paar Tauben zu den Tauben zählten. „Nur nach Michael Jacksons ‚Thriller‘ gab es eine kurze Phase, wo gelegentlich Ghettoblaster in Parks gesichtet wurden“, erinnert sich der erfahrene Ornithologe. „Ein paar Kohlmeisen nahmen den Moonwalk sogar ins Balzritual auf.“ Doch sonst blieb es ruhig im Grünen – bis zur neusten Generation von Smartphones und Bluetoothboxen mit Lithium-Ionen-Akku. Seither reicht ein Lautsprecher vom Format eines Grillwürstchens aus, um einen Rave mit satten 110 Dezibel zu veranstalten.

Nachtigall, ick hör dir den ollen Jan Delay zwitschern

Die Vogelfauna in Parks ist nachhaltig gestört. „Viele Arten ahmen Geräusche nach, bauen sie in ihre Gesänge ein. Wir wissen von einer Nachtigall, die nach ein paar Partys im Park sang wie Jan Delay. Ein Paarungserfolg stellt sich da natürlich nicht ein.“

Auch Insekten sind betroffen, berichten Entomologen: Ameisen stolpern bei Technobeschallung signifikant häufiger über ihre sechs Beine. Bienen sind im Bereich von Bluetoothboxen desorientiert, wobei Forschungen ergaben, dass sie Deep House stärker verwirrt als Flowerpower. Und Peter Wohlleben schreibt in seinem neuen Bestseller „Die geheimen Ohren der Bäume“, auch stolze Eichen und Platanen würden lieber ihre Wurzeln in die Hand nehmen, anstatt noch eine Stunde länger Teenager zu beschatten.

Was aber treibt junge Menschen an, ihre Musik unfiltriert in die Natur zu blasen? Per Videocall befragen wir Dr. Melony Chum, Environmental Be­ha­vio­ris­tin der Mumford University of Ecology. „Es ist ein paradoxes Verhalten“, erklärt sie das Offensichtliche. „Wir gehen in den Park, um Entspannung und Ruhe zu suchen, und das Erste, was wir machen, ist Lärm. Wieso?“, fragt sich Chum und vermutet archaische Verhaltenswurzeln: „Im Grunde ist es wie bei Hunden, die Blue­tooth­box ist das gehobene Beinchen der Heranwachsenden. Eine akustische Urinmarkierung!“

Wenn diese Theorie stimmt, müssten zahlreiche Stadtparks wegen Überdüngung geschlossen werden. Tatsächlich überlegt manches Grünflächenamt, die Benutzung von Bluetoothboxen einzuschränken oder analog zu öffentlichen Grillplätzen akustische Erlaubnisflächen auszuweisen. „Das können gern dieselben Plätze sein, im besten Fall landet dann auch mal eins der Geräte auf dem Grill“, heißt es aus einem Amt hinter hervorgehaltener Hand.

Womöglich finden sich auch andere Wege, der Invasion der Brüllboxen Einhalt zu gebieten. Ein Feldversuch mit Störsendern im Park einer deutschen Großstadt führte jedoch zu einem kakofonen GAU, der im Nachhinein als kontrollierte Sprengung einer Weltkriegsbombe umdeklariert werden musste.

Auch Jesper Clausen vom Flensburger Institut für Angewandte Schadstoffhysterie arbeitet an diesem Problem: „Wir forschen intensiv daran, herauszufinden, dass Bluetoothverbindungen Krebs verursachen. Wir sind da auf einem guten Weg. Zumindest konnten wir schon nachweisen, dass versehentlich verschluckte Bluetoothboxen Magenkoliken auslösen.“ Bis die Magensäure zu wirken beginne, würden die Lärmemissionen aber um 32 Prozent reduziert.

Zurück auf der Wiese im Stadtpark sind wir versucht, dieses Forschungsergebnis gleich in die Praxis umzusetzen. Doch Severin Flock hält uns zurück. Er will mit den Verursachern ins Gespräch kommen. Auf einer Decke treffen wir Kay-Mika, Cecil, Fynn-Baldur und Josefina-Horst. Es braucht nicht viele Blicke auf Style, Haarfarben, Tattoos und Sticker, um herauszufinden, dass wir es mit einer Gruppe ganz normaler, aufgeklärter Jugendlicher zu tun haben. Aus der mitgeführten Bluetoothbox quillt genderfluider Electroclash. Alle sind non-binär, für „Fridays for Future“ und überzeugte Ve­ga­ne­r*in­nen, weil sie für Tierrechte eintreten. Genau dort hakt der gewiefte Umweltpädagoge Flock ein: „Aber haben Wildtiere nicht auch ein angeborenes Recht auf Stille?“, schreit er in die Runde. „Ist es nicht total übergriffig gegenüber Singvögeln, in ihren angestammten Revieren anthro­po­zen­tristisch motivierten Lärm zu verbreiten?“

Bei den Jugendlichen trifft Flock mit diesem Argument auf zwar taube, aber nichtsdestotrotz offene Ohren. „Ey, das ist ja irgendwie voll kolonial!“, ruft Fynn-Baldur aus, und die anderen gucken sehr erschrocken, ihre Wokeness wackelt.

Nach einer zweistündigen Debatte räumen drei der Jugendlichen das Feld und starten eine Onlinepetition, die das Ende von Stadtparks als koloniale Refugien human-normativer Aneignung von Wildtierraum fordert. Nur Kay-Mika hat anders umgedacht und schließt sich einer Gruppe von Rap-­Kon­su­men­t*in­nen an, die zwei Blue­tooth­boxen weiter gerade einen Waschbären grillen. „Eine weniger“, freut sich Severin Flock und geht zur nächsten Decke. Auch dieser Weg wird kein leiser sein.

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