Die Wahrheit: Gereihter Trost Rücken an Rücken

Auch wenn immer mehr junge Leute leicht verächtlich von „Holzmedientapeten“ sprechen, Bücherregale sind die Schatzkammern des Lebens.

Ich besitze ziemlich viele Bücher, bin aber auch schon recht alt, da sammelt sich was an mit der Zeit. Viele von den Büchern habe ich gelesen, etliche jedoch nicht, weil ich mir immer wieder ein neues kaufe, bevor ich die letzten zwei gelesen habe. Auch ohne Dreisatz kann man erahnen, dass es sich „reiht“. Meine Mutter ruft schon ein Leben lang: „Gif dien Geld nich gümmer fo Beuker ut!“ Bei meinem Bruder sagt sie den Satz mit Schallplatten.

Gerade jetzt, wo ich nichts verdiene, weil ich in Pandemiezeiten nicht auftreten kann, mehren sich Mutters Sorgen. Kürzlich saß sie mal wieder bei mir und trank Tee vor dem Wohnzimmerregal, das die linke Wand komplett bedeckt. Wie gut, dass sie nicht in die anderen Zimmer gegangen ist. Ob die Wohnungsdecke das auch hält, hat sie gefragt.

Meine Liebste fragt mittlerweile auch schon nach: „Willst du nicht lieber erst mal die alten lesen?“ Ja, aber wenn mich die neuen gerade so interessieren? Und die jungen Autoren? Die haben es doch auch verdient, dass sie von mir gelesen werden!

Manche meiner Bücher aus der Kindheit stehen noch immer in meinem alten Zimmer bei meinen Eltern, in dem ich bei allen Umzügen auch Bücherkisten abgestellt habe. Meine Eltern meinen, die müssten langsam weg, und ich kann diese Zumutung, auch dort Bücher zu stapeln, nur rechtfertigen damit, dass im Zimmer nebenan noch Schallplatten meines Bruders stehen.

Wenn ich Bücher lese, sehen sie hinterher aus wie neu gekauft, wie ungelesen. Ich habe Jahrzehnte gebraucht, bis ich mit Bleistift Markierungen machen konnte. Wegschmeißen kann ich sie sowieso nicht. Wenn jemand ein Buch aufschlägt und über den Rücken knickt, sterbe ich. Da ich inzwischen selbst Bücher schreibe und häufig signiere, jedenfalls wenn nicht gerade Corona ist, erlebe ich das immer wieder. Allerdings kann ich auf meinem Rücken liegend lesen, den Band in Händen über dem Gesicht, dann einschlafen, ohne das Buch fallen zu lassen, aufwachen und weiterlesen. Das ist fast schon eine Varieté-Nummer.

Bücher sind mir immer ein großer Trost. Noch mehr jetzt in Zeiten der Pandemie. Auch wenn immer mehr junge Leute leicht verächtlich von „Holzmedientapeten“ sprechen und Bücher nur noch digital nutzen. Ich entdecke lieber Schätze und sortiere sie um. Ich lese „Moby Dick“ und „Die Entdeckung der Langsamkeit“ zum Xten-mal. Und natürlich „Klasse und Kampf“. Einer meiner Lehrer sagte einst: „Intelligenz ist, wenn man weiß, wo es steht!“

Schuld an meinem Verhältnis zu Büchern ist meine Mutter. Sie war Mitglied im Bertelsmann Lesering. In jedem Vierteljahr musste man für eine Mindestsumme einkaufen, das aber mit Preisnachlass. Ich bekam auch welche aus diesem Kontingent. Meine Mutter besitzt selbst viele Bücher, kauft aber keine mehr. Inzwischen liest sie kaum noch, denn sie hat Schwierigkeiten „mit den Augen“, was in mir Panik auslöst. Ich hoffe inständig, dass diese „Malessen“ nicht in meinem Erbgut verankert sind.

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Der Kabarettist und Autor Bernd Gieseking steht seit über zwanzig Jahren auf der Bühne. Er schreibt Kolumnen für die »Wahrheit«-Seite der »taz«, Kinderhörspiele für den WDR Hörfunk sowie Bücher – und die am liebsten über Finnland: »Finne Dich Selbst!« und »Das kuriose Finnland-Buch«, alle erschienen im Fischer Verlag. Wenn er nicht schreibt, dann tourt er mit seinen Kabarettprogrammen »Gefühlte Dreißig«, »Finne Dich Selbst!« sowie - jeweils in den Wintermonaten - mit seinem alljährlichen satirischen Jahresrückblick »Ab dafür!« durch die Republik.

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kari

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