Die Wahrheit: Die Straßenschilderübermalungsbande

In Irland gehen die Geschichtsbilderstürmer um. Aber auch für die Grüne Insel gilt: Wer übers Ziel hinaus schießt, wird nie etwas erreichen.

Wenigstens haben Queenstown und Kingstown ihre Kolonialnamen abgelegt. Seit der irischen Unabhängigkeit vor 100 Jahren heißen die beiden Städte Cobh und Dún Laoghaire. Trotzdem trifft man in Irland noch häufig auf das britische Besatzungserbe.

Das ist einer Gruppe im südirischen Cork ein Dorn im Auge. Die „Cork Street Names Group“ übermalt anstößige Straßenschilder – zum Beispiel Victoria Road. Es sei abscheulich, dass „eine irische Straße nach einer Verbrecherin benannt ist“, die für einen Genozid in Irland verantwortlich sei, sagt der Stadtverordnete Diarmaid O’Cadhla. Während der Kartoffelpest Mitte des 19. Jahrhunderts exportierten die Engländer unter der Herrschaft von Königin Victoria weiterhin Fleisch und Getreide und ließen eine Million Iren verhungern.

O’Cadhla sollte einen Abstecher nach Dublin machen. Dort gibt es eine Nassau Street, die nach Nassau William Senior benannt ist, einem englischen Anwalt und Regierungsberater in wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten. Der hatte über die Hungersnot gesagt, sie würde „nicht mehr als eine Million Menschen umbringen, und das würde kaum etwas nützen“.

O’Cadhla betont, seine Aktion sei nicht als antibritisch misszuverstehen. Er wolle die Würde und die Selbstachtung von Cork wiederherstellen. Nicht alle sind mit ihm einverstanden. Sein Kollege im Stadtrat, der Sozialdemokrat Joe Harris, bescheinigte ihm einen „pathologischen Hass auf England“ und warnte, dass er zwanzig Jahre Frieden und Versöhnung in Nordirland gefährde. Droht ein neuer Krieg, weil in Cork Straßenschilder übermalt werden?

Wird die britische Regierung möglicherweise ein Atom-U-Boot nach Cobh schicken, den Hafen bei Cork, wo die „Titanic“ anlegte, bevor sie den Atlantik fast überquerte? Die Straßenschilderübermalungsbande will nämlich auch den Englischen Markt umbenennen. Dabei hat man ihn im 19. Jahrhundert nur deshalb so getauft, um ihn vom Irish Market ganz in der Nähe zu unterscheiden. Als Königin Elisabeth 2011 zum ersten Mal nach Irland kam, stattete sie dem English Market einen Besuch ab. Sie hatte sich dafür extra ein froschgrünes Kleid übergestreift.

Es sei die beste Markthalle im Vereinigten Königreich und Irland, behauptete der englische Fernsehkoch Rick Stein. Offensichtlich bekommen viele Engländer das Kolonialdenken nicht aus ihren Köpfen, wenn es um Irland geht. Oder käme Stein auf die Idee, den Hvannadalshnúkur als höchsten Berg im Vereinigten Königreich und Island zu bezeichnen?

Die Straßenschilder der Victoria Street sind inzwischen gesäubert worden und hängen wieder an ihrem alten Platz. Immerhin hatte Diarmaid O’Cadhlas Aktion länger Bestand als die des damaligen Bürgermeisters von Cork, Seán Cronin. Der ließ im Mai 1945 eigenmächtig Straßenschilder mit den Namen der Rebellen des Osteraufstands von 1916 aufstellen. Nach anderthalb Tagen hatte der Stadtrat die Schilder einkassiert.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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