Die Wahrheit: Weissagung eines alten Weißen
Der Kampf für eine Verbesserung der Wirklichkeit über den Umweg der Sprache fordert seine ersten Opfer: Sinn und Verstand.
E rst wenn der letzte Einwand gegen das Gendersternchen geäußert, der letzte vergiftete Artikel zur Sprachpolizei erschienen, die letzte emeritierte Professorin der Linguistik in der FAZ erklärt haben wird, warum das generische Maskulinum ein unverzichtbares Bauteil im feinen Mechanismus der deutschen Grammatik ist, werdet ihr merken, dass der Käs’ mit dem Kampf gegen eine Verbesserung der Wirklichkeit über den Umweg der Sprache längst gegessen ist.
Aber die Utopie maximaler Gerechtigkeit wird erst erreicht sein, wenn auch unter den Redewendungen so richtig dreißigjährigerkriegmäßige Verwirrung herrscht. Zumal mindestens ein Drittel dessen, was einem so metaphorisch über die Lippen perlt, blutigen Ursprungs ist. Also bäh und pfui. Wer in die Bresche springt, auf Vordermann bringt, bei der Stange bleibt oder die Flinte ins Korn wirft, perpetuiert oder reproduziert militärische Stereotype. Wollen wir das? Das wollen wir nicht.
Besser wäre es, in die Federn zu hüpfen, auf Quotenfrau zu bringen, bei der Sache zu bleiben, Gleichgesinnte ins Korn zu werfen. Und auch alle anderen Redewendungen, überkommene Relikte einer im Zweifelsfall immer sehr schlimmen Zeit, vermittels kreativer Sprechakte einer heillosen Verhedderung zuzuführen. Es gilt, sozusagen das Kind mit dem Bade auszuschütten. Was und wie gut ich es mit diesem Quatsch meine, sei an folgenden Beispielen exemplifiziert.
Zucker ist ungesund, also sei das Leben besser mal kein Kinderschlecken. Dringende Angelegenheiten sollten uns auf, nicht unter den Nägeln brennen. Da, wo man sie sehen kann. Haben wir nicht alle oft einen Kloß im Bauch, wenn wir das vierte Rad am Wagen sind? Abwarten und rechts blinken. Nur steter Tropfen öle künftig den Stein, geschmeidig und nachhaltig, statt ihn brutal und übergriffig zu höhlen. Das ist so sicher wie der Ahmed in der Kirche, dem Abschiebung droht. Lieber kein Spatz in der Hand, auch keine Taube auf dem Dach mit der Photovoltaik. Flieg, kleine Taube, solange du noch kannst!
Wer solche Spielereien für albern hält, einen inneren Widerstand empfindet, dem sei es hiermit ins Kontor gestanzt: Genau das ist das Problem! Wir müssen uns alle locker machen, unsere Angst vor einem babylonischen Tohuwabohu ablegen – und die Neuschöpfer einfach mal machen lassen. Früh trübt sich, wer eine bissige Gesellschaft oder wenigstens ein Bachelor in Sozialwissenschaften sein will!
Oft liegt uns das treffende Wort schon auf der Lunge, es muss nur abgehustet werden. Vor der eigenen Tür, damit es die Nachbarn sehen, kehrt bald nur noch der Hausmann in Koblenz, Bregenz oder Inzidenz. Wie schön wäre es, würde jeder mal hinter der eigenen Tür kehren! Dort, wo’s drauf ankommt. Mit Speck fängt man Wollmäuse!
Irgendwelche Spundwände?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Der alte neue Präsident der USA
Trump, der Drachentöter
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens