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Die WahrheitDer Wolf und das Eichhörnchen

Dr. Sommer aus der Bravo heißt in Irland Roe McDermott, und ihre leidlich erwachsene Leserschaft wird von ihr nicht immer zartfühlend behandelt …

D ie Zeitschrift Bravo hat ihren „Dr. Sommer“, ein Sammelbegriff für eine ganze Reihe von Beratern in Sachen Sexualität, die sich seit nun gut 50 Jahren um die Probleme pubertierender Teenager kümmern. Die Irish Times, Irlands seriöseste Tageszeitung, hat Roe McDermott, die einmal in der Woche die Fragen der Leserschaft zu Sex und Beziehungsproblemen beantwortet.

So sehr unterscheiden sich die Probleme der Bravo-Jugendlichen und der Irish-Times-Erwachsenen gar nicht, stellt man fest, wenn man sich die Briefe anschaut. So gesteht ein Leser: „Ich bin offen schwulenfeindlich, aber ich ziehe mir heimlich Frauenkleider an. Ich traue mich nicht, es meiner Freundin und Mutter unseres Kindes zu sagen.“ Die tratsche nämlich. „Sie hat anderen Leuten öfter über unsere sexuellen Aktivitäten erzählt.“ Roe meint, Cross-Dressing sei normal: Der Beziehung fehle wohl der grundlegende Respekt für andere Menschen und ihre Gelüste.

Eine Leserin schreibt: „Ich habe zum ersten Mal, seit ich vor 20 Jahren erwachsen geworden bin, einen netten Mann getroffen.“ Er habe sie entjungfert, aber der Sex sei ziemlich dröge und schnell vorbei gewesen. Ein paar Wochen und zwei Flaschen Wein später bat er sie, ein Kostüm anzuziehen, das er mitgebracht hatte. „Ich sah aus wie ein Eichhörnchen aus einem Cartoon“, meint sie. „Er verkleidete sich als Wolf. Diesmal war der Sex großartig. Aber ich muss mich jetzt immer als schutzloses Tier verkleiden, während er der Wolf oder irgendein anderes dominantes Tier ist. Das finde ich demütigend.“ Roe antwortet, man könne ja abwechselnd normalen und tierischen Sex haben. Oder sich mit den Kostümen abwechseln?

Eine Leserin benennt ein besonderes Problem in Zeiten der Pandemie: Sie könne es kaum erwarten, dass die Restriktionen wegen Corona gelockert werden. Derzeit dürfe man sich ja nur fünf Kilometer vom Haus entfernen, schreibt sie bedauernd. Das sei aber viel zu wenig: Sie will mindestens 500 Kilometer und einen Ozean zwischen sich und ihren Noch-Ehemann bringen.

Eine andere Leserin, Anfang 20, erzählt, sie sei jetzt bei ihrer besten Freundin ins Elternhaus gezogen, weil ihre eigene Mutter so wenig Kontakt wie möglich haben soll, da diese zur Hochrisikogruppe gehöre. Nun sei sie aber echt scharf auf den Vater ihrer Freundin, der Ende 40 ist. „Ist das bloß eine Lockdown-Liebe“, fragt sie, „oder ist es echt?“

Roe antwortet: „Es wird allen Beteiligten sicher große Freude bereiten, wenn du die Stiefmutter deiner besten Freundin wirst. Viel Spaß!“ Falls die Leserin jedoch Sarkasmus nicht verstehen sollte, fügt Roe zur Sicherheit hinzu: „Ich glaube nicht, dass du so blöd bist. Der Mann ist einfach nur nett zur Freundin seiner Tochter, was dein vernarrtes Hirn überinterpretiert. Zieh so schnell wie möglich aus dem Haus aus. Such dir eine andere Unterkunft. Und vor allem: Such nach deinem Verstand.“ Dr. Sommer war irgendwie diplomatischer.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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