Die Wahrheit: Bon im Wind
Der ewige Kampf zwischen Ordnung und Unordnung manifestiert sich im kleinen Kassenzettel, der weg ist und wieder da und …
D en darf ich auf keinen Fall verlieren“, sagte ich und schaute auf den Kassenbon in meiner Hand. Der Papierfetzen tat mir leid, er konnte nicht ahnen, dass er im Grunde verloren war. Ich tat mir auch leid, denn ohne Bon konnte ich mein kaputtes Handy nicht umtauschen.
Wir beide waren zum Untergang verurteilt. Ich würde wieder einmal am gesellschaftlichen Zwang zur Kassenzettelaufbewahrung zerschellen und der Bon an seiner zarten Konstitution. Warum waren diese Dinger aus Papier? Einen mannshohen Bon aus Eisenguss würde man nicht so schnell verlieren.
Dabei war ich so stolz gewesen, dass ich ihn ein Jahr nach dem Kauf fast auf Anhieb wiedergefunden hatte. „Wo hast du den Bon denn damals hingetan?“, hatte meine Freundin investigativ gefragt. Im Sachenfinden legt sie einen Enthusiasmus an den Tag, der mir ein wenig unheimlich ist. „In die Wohnung“, hatte ich nach reiflicher Überlegung geantwortet und versonnen ins Chaos geblickt.
Kurze Zeit später saßen wir in der Küche, die meine Freundin zum Verhörzimmer gemacht hatte. „Jetzt spuck es schon aus. Was genau hast du mit ihm angestellt?“, gab sie den bösen Cop, blies mir Zigarettenrauch ins Gesicht und knallte Fotos von übel zugerichteten Kassenbons auf den Tisch, um mich mürbe zu machen. Doch ich erinnerte mich nicht.
Deswegen versuchte sie es mit Rückführungstherapie. Ich musste mich mit Schlafbrille in die volle Badewanne legen, damit uterinale Geborgenheit mein Gedächtnis stimulieren würde.
„Ich habe ihn abgeheftet!“, rief ich endlich, nachdem ich den fraglichen Nachmittag in allen seinen öden Einzelheiten noch einmal durchlebt hatte. Abgeheftet! Eine solche Ordnungsleistung war mir nicht mehr gelungen, seit ich am Silvesterabend Socken aus den letzten Dekaden zusammengelegt hatte.
Das Geheimnis beim Sockenzusammenlegen besteht übrigens darin, überkommene gesellschaftliche Muster über Bord zu werfen. Also hatte ich meine Socken nicht zu Paaren, sondern zu Clans zusammengelegt, wobei ein Sockenclan aus bis zu 23 Einzelsocken bestehen durfte. Mehr bekam ich nicht über die Füße.
Ich sprang aus der Wanne und suchte nach dem Aktendeckel, den ich ebenfalls im Sockenfach vermutete, aber im Gemüsefach fand. Tatsächlich enthielt er nur den Zettel.
„Wer heftet denn Kassenbons ab! Du bist so ein Spießer“, quengelte meine Freundin. Sie kann nicht gut ertragen, wenn ich besser im Sachenfinden bin als sie. Jetzt hieß es Nerven behalten. Ich durfte den Bon nicht auf dem Weg zum Technikmarkt verlieren, dabei waren diese letzten Meter riskant. Ich konnte von Autos entführt oder von Aliens überfahren werden, die Möglichkeiten waren schier endlos.
Irgendwann wurde der Druck zu groß. Ich öffnete die Faust und sah zu, wie der Wind den Bon davontrug. Er war von Anfang an verloren.
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