Die Wahrheit: Tierrettung einmal anders
Im Netz kursieren immer mehr Videos von Männern, die Tieren in Notlagen helfen. Leider bieten die Filmchen nie etwas Unerwartetes oder Überraschendes.
I mmer wenn ich denke, das Internet ist endgültig auserzählt, biegt dann doch die nächste Überraschung um die Ecke. So trenden in den sozialen Medien gerade diese Videos, in denen irgendwelche Typen irgendwelche Tiere retten. Es sind immer Männer. Gute Männer. Frauen gehen Tiere wohl am Arsch vorbei. Ganz vielleicht geben sie auch nicht so viel mit ihren guten Taten an.
Da ist zum Beispiel der Film mit dem Eichhörnchen. Den haben bestimmt schon alle Menschen auf der ganzen Welt gesehen. Der Nager ist nach einem Stromschlag bewusstlos oder klinisch tot – so genau weiß man das nicht. Ein Typ wird mit dem Smartphone dabei gefilmt, wie er das auf dem Rücken liegende Eichhörnchen mit leichter Fingerdruck-Herzmassage sowie Mund-zu-Schnauze-Beatmung erfolgreich wiederbelebt.
Oder der Clip mit dem jungen Fuchs, der in einen fast leeren Swimmingpool gefallen ist, und dem ein Helfer eine Holzplanke zum Rausklettern bereitstellt. Oder das Kaninchen, das nicht mehr aus der glatten Skate-Bowl herauskommt. Ein Skater versucht in für das Video auf drei Minuten heruntergekürztem, doch in Wahrheit sicher stundenlangem Ringen ein Vertrauensverhältnis zu dem Karnickel aufzubauen, um es endlich greifen zu können.
Womöglich spiegelt das Interesse an diesen Clips das große Bedürfnis der Menschen nach einfachen Lösungen in scheinbar aussichtsloser Lage wider. Hier können sie sich mit Tieren und Rettern zugleich identifizieren, Happy End inklusive.
Mir ist das alles zu billig. Eine feine Pointe wäre es für mich gewesen, hätte er dem zutraulich gewordenen Vieh das Longboard über den Brägen gezogen und es anschließend in die Pfanne gehauen. Aber leider passiert bei diesen Filmchen niemals Unerwartetes.
Dabei weiß doch jeder gute Unterhalter, wie man das Publikum mit bewusst eingebauten Irritationen aus seiner Komfortzone herausholt. So ein Clip ist leicht selbst produziert. Ich animiere eine herbstgeschwächte Wespe mit Pusten und Anschnipsen dazu, mir in den Arm zu stechen. Ich möchte ihr noch ein spätes Erfolgserlebnis verschaffen, bevor sie geht. Wobei ich natürlich nicht weiß, ob der Stich eines Menschen nicht sowieso hinter Achievements wie „Königin befruchtet“ oder „Besonders weich auf einem besonders großen Marmeladenbrot gelandet“ zurücksteht.
Leider gänzlich unbeachtet blieb mein Film, in dem ich hundert in meinem Müll gefangene Fruchtfliegen durch einen einzigen Tritt aus dem Klappeimer befreite. Das ist wieder typisch: Die Leute reagieren immer nur auf spektakuläre Warmblüter. Eichhörnchen, Füchse, Kaninchen. Löwen, Giraffen, Elefanten. Dabei bietet die Natur doch direkt vor unseren Augen so unendlich viele, winzigste und doch atemberaubende Wunder.
Egal, wer nicht will, der hat schon. Oberflächliche Arschlöcher. Ich bin ja zum Glück nicht so ein Like-Luder.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!