Die Wahrheit: Anhängliche Rampensäue

Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung (105): Robben und Seelöwen stehen im besonderen Dienst der Volksbelustigung.

Eine Robbe am Strand von Dover.

Zwischen Berge und Strand immer klar entschieden: Robbe. Hier in Dover Foto: dpa

Im Jahr 1952 malte Marc Chagall eine Robbe, die eine Menschin liebt – und einen seltsamen Vogel, der ihnen mit einem Blumenstrauß gratuliert. Tatsächlich werden vor allem die Seelöwen in Gefangenschaft sehr anhänglich, gar aufdringlich. Sie können als „moderne Unterhaltungstiere gelten“, schreibt Wiebke Reinert in „Applaus der Robbe. Arbeit und Vergnügen im Zoo, 1850–1970“ (2020). Es ist ihre Doktorarbeit, die Forschung an der Robbe widmete sie ihrem „besten Freund, dem lieben Wobbe“.

Ein Kapitel thematisiert „Gewaltverhältnisse im Zoobetrieb“, ausführlich befasst sich die Autorin mit den Wärtern und Tierpflegerinnen, ihrer Ausbildung und dem Berufsbild, aber auch mit dem Publikum und seinem Verhältnis zu Robben. Dazu hat sie Plakate, Sammelbilder und Fotos herangezogen, eins zeigt zwei „Taucherinnen“ in einem Cabriolet mit ihrem „Lieblings-Seelöwen“, ein anderes einen „Seelöwen in der Bar“. Was fehlt, ist eine Postkarte aus Berlin von „Robben und Wientjes“.

Im Stollwerck-Sammelalbum gab es Bilder über „Seelöwen als Ballspieler“, im Zirkus ließ man sie balancieren und jonglieren. Für die Anwohner von Zoos mit Seelöwen-Becken war das „weithin vernehmbare Blöken“ der Tiere vor allem zur Paarungszeit allerdings nervig, außerdem verströmten sie einen „unangenehmen Geruch“.

Seehunde, Walrosse, Seebären, Mönchsrobben und Klappmützen kommen in „Applaus der Robbe“ nur am Rande vor. Mit Freunden besuchte ich neulich den „Elefantenhof Platschow“ bei Parchim, um uns die dort lebenden Seelöwen anzusehen, aber sie befanden sich gerade bei Dreharbeiten in Rostock.

Wider die gewöhnliche Ordnung

Wiebke Reinert erwähnt eine Enzyklopädie, in der es heißt, dass Seelöwen in der Gefangenschaft gar „abrichtbarer und zutraulicher gegen ihren Wärter“ seien „als alle andern Thiere“. Eine andere Enzyklopädie teilt über die weiblichen Seelöwen mit, dass sie zur Paarung „wider die gewöhnliche Ordnung“ die Männchen umwerben. Diese beißen sie dafür beim Akt heftig in den Nacken.

Aus dem Cincinnati-Zoo wurde berichtet: Dort starb eine Seelöwin. Der männliche Seelöwe versuchte wiederholt, den Kopf der Toten über Wasser zuhalten. Nach vielen vergeblichen Versuchen gab er endlich seine Bemühungen auf, stieg mit einem eigentümlichen Schmerzensschrei aus dem Wasser, in das er nicht zurückwollte, bis die Wärter die Leiche entfernt hatten. Durch wütende Angriffe versuchte er das zu verhindern.

Auf einer Ankündigung für eine Tierschau im Schloss zu Nymphenburg wurde besonders der Verstand eines Seelöwen gelobt: „Er kommt zu seinem Herrn auf dessen Ruf, biethet ihm nach Befehl das linke oder rechte Händchen, kueßt ihm die Hand … Seine Augen sind ausnehmend schoen, er läßt auch, obschon seiner Freyheit beraubt, noch vielen Stolz blicken.“

Erfolgreiche Schaufütterung

Die Fütterung der Seelöwen bereitete die größte Freude. Bereits um 1875 hatte sich laut Wiebke Reinert ihre „Schaufütterung als so erfolgreiches Format erwiesen, dass sie mehrmals täglich stattfand“. Die Badische Zeitung urteilte 1908 über die Seelöwen, es gebe „kaum ein lustigeres Volk unter den Tieren des Meeres“. Reinert: „In Kalifornien entwickelte sich in den 1870er Jahren ein reger Betrieb des Fangs von Seelöwen für Menagerien und Zoos … Der bloße Fang einzelner Seelöwen ging oftmals mit dem Erschießen anderer Tiere einher … Außerdem wurden oft die Leit- und Muttertiere getötet, um die Jungtiere einfangen zu können“.

Viele starben auch auf dem Transport – nach Europa zum Beispiel, wo ein männlicher Seelöwe um 1900 circa 3.000 Mark kostete, „was ungefähr dem Zweieinhalbfachen des Jahresgehaltes von ungelernten Arbeiter:innen entsprach.“ Mit der Zeit wurden die Tiere billiger.

In den dreißiger Jahren bemerkte der Königsberger Zoologe Otto Koehler, dass die Seelöwen in „große Aufregung gerieten, wenn Soldaten in Uniform mit ihren Dienstmützen am Seelöwenbecken vorbeikamen“. Auch der Wärter trug Uniform und Dienstmütze. Eine Forschungsarbeit sollte untersuchen, „ob und an welchen Merkmalen die Seelöwen Menschen erkennen.“ Ergebnis: Seelöwen setzen die Teile, die sich zum optischen Gesamtbild des Wärters fügen, ähnlich zusammen wie der Mensch.

Rassistisches Gesamtbild

Während der Nazizeit fügte sich das optische Gesamtbild der Zootiere rassistisch zusammen: „Von dem Fleiß und der Sorgfalt, von der fachlichen Erfahrung und dem instinktmäßigen Können des Tierwärters hängt es ab, ob in den Gehegen gesunde kräftige und artreine Tiere sich tummeln oder matte, verkrüppelte und entartete Tiere als Zerrbilder der Rasse ihr Leben fristen“, hieß es in den Düsseldorfer Nachrichten.

Nach dem Krieg, als Hunderte neuer Zoos eröffneten und der Tierhandel weltweit zunahm, mussten sich die Tierpfleger nicht mehr nur auf ihr „instinktmäßiges Können“ verlassen, denn ihre Arbeit wurde nun (mindestens in der DDR) „wissenschaftlich“ organisiert.

Im Lehrbuch für angehende Zootierpfleger „Wildtiere in Menschenhand“ heißt es, Robben seien leicht dressierbar, besonders im Zusammenhang mit der Fütterung. Walrosse würden gar so anhänglich, dass sie dem Pfleger „gern“ auch in unbekanntes Gelände folgen. Erwachsene Walrosse seien Publikumslieblinge, „denen nur selten verargt wird, dass sie mit dem Maul zielsicher Wasser unter Besucher spritzen“.

Provozierender Nebenbuhler

Bei den Seelöwen warnt das Lehrbuch, „dass der aufrecht stehende Mensch oft als ‚provozierende(r) Nebenbuhler‘ betrachtet werde“.

1957 zeigte die UFA-Wochenschau Bilder vom Münchner Fasching: „Zwischen Oberbürgermeister, Prinzengarde und Faschingsprinz waren auch Seelöwen zu sehen.“ Die Seelöwen wurden für besondere Meriten im Dienste der Volksbelustigung mit einem Faschingsorden ausgezeichnet. In Berlin ging ein Dompteur mit seinen Seelöwen über den Kurfürstendamm und dann weiter ins beliebte Café Kranzler, wo sie von begeisterten Damen mit Fischstückchen gefüttert wurden. „Seelöwen konnten am Tisch sitzen, sie gaben Laute von sich, bewegten sich in einer Weise, die als menschliche Artistik kommentiert werden konnte (‚Handstand‘) – anstatt zu flüchten, zu brüllen oder zu beißen.“

Der Seelöwenpfleger im Basler Zoo, Markus Ruf, zog mehrere Jungtiere auf, übernachtete bei nahenden Geburten bei den Robben im Stall und übernahm die Fütterung mit der Flasche, wenn die Mütter nicht säugen konnten oder wollten. Mit manchem erwachsenen Tier ging er im Neoprenanzug schwimmen.

Wiebke Reinert schreibt in ihrer Analyse: „In einem professionellen Sinne wäre hier vielleicht ein Einlassen auf die Bedürfnisse der Tiere und die Gegebenheiten sowie Zwänge des Zoos zu sprechen. Der Idee eines ‚becoming with‘ (Donna Haraway), einer beidseitigen Gestaltung des Tier-Mensch-Verhältnisses, kommt dieses Beispiel indes sehr nahe.“

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