Die Wahrheit: Sozusagensager
Tagebuch einer Radiohörerin: Korrektes freies Sprechen im Rundfunk will gelernt. Vor allem Füllwörter sollten irgendwie vermieden werden quasi.
A ls leidenschaftliche Radiohörerin musste ich in letzter Zeit leider feststellen, dass meine seit Langem währende Liebe wachsender Erschütterung ausgesetzt ist. Ich mag nämlich besonders gern Sendungen, in denen viel geredet und zum Beispiel von erstaunlichen Biografien und absonderlichen Lebensmodellen berichtet wird.
Der Hörgenuss wird allerdings immer häufiger von sinnfrei eingestreuten Füllwörtern getrübt, mittlerweile bin ich kurz davor, eine Petition an die Rundfunkredaktionen zu richten, sie mögen doch bitte ihren geschätzten Studiogästen den Gebrauch bestimmter Vokabeln verbieten. Ganz oben auf meiner Streichliste stehen: Sozusagen, genau, tatsächlich, ein Stück weit, zeitnah sowie bedürfnis-, werte-, und lösungsorientiert. Aus der beliebten Reihe „Wichtigschissfloskeln im Konjunktiv“ lege ich hiermit einen Bannfluch über „Ich würde sagen“ und einen Haufen anderen Blödsinn, die Liste wird zu gegebener Zeit veröffentlicht.
In einer Sendung von Deutschlandradio Kultur hat es neulich ein Interviewpartner geschafft, in einem einzigen Satz viermal „sozusagen“ unterzubringen, ich habe penibel mitgezählt. Die wenigen Worte dazwischen habe ich leider vergessen. Und das, obwohl ich „sozusagen“ schon vor Jahren unter Androhung lebenslangen Sprechverbots für unsagbar erklärt habe! Aber auf mich hört ja keiner. Peinlicherweise ist mir neulich selbst ein „sozusagen“ über die Lippen gekommen, die Schamesröte in meinem Gesicht hätte jedes Mohnfeld vor Neid erblassen lassen. So was passiert, wenn man lange genug gewöhnungsorientiert beschallt wird.
Ich behaupte, es gibt bei der Wahl sinnloser Füllwörter geschlechtsspezifische Unterschiede. „Tatsächlich“ und „genau“ werden besonders gern von Frauen benutzt, meist stehen sie am Anfang eines Satzes, ohne dass es nach dem zuvor Gesagten irgendwas zu bestätigen gibt. Willkürliches Dialogbeispiel: „Und wie haben Sie sich dabei gefühlt?“ – „Genau (Pause) … Ich war …“ Ja, was? Zu unentschlossen, unsicher oder verpeilt, um zu wissen, was ich sagen will, bevor ich loslege? Chillt mal, ist nix Besonderes! Früher hat man statt mit „genau“ einfach mit „öhm …“ Zeit geschunden; selbstverständlich könnte man auch „Keine Ahnung, muss mal drüber nachdenken“ antworten.
Die Zündkerzen, ich sag mal, sind kaputt quasi
Bei Männern sind „sozusagen“ und „ein Stück weit“ beliebt, so wie bei dem Typ, von dem ich am Ende eines Interviews, das ich gnädigerweise verpasst hatte, im Schlusssatz noch erfahren durfte, er habe sich „sozusagen ein Stück weit neu erfunden“. Hätte er noch ein paar Stücke draufgelegt, hätte es möglicherweise für einen neuen Wortschatz gereicht.
Geschwurbelfreie Gespräche sind manchmal schwer zu finden, deshalb höre ich mir jetzt alte Folgen von „Car Talk“ an. Darin geben zwei durchgeknallte Brüder ratsuchenden Anrufern Ferndiagnosen für die Zipperlein ihrer Autos. Brüllkomisch, garantiert füllwortfrei.
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