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Die WahrheitFrüchte der Sünde

Uli Hannemann
Kolumne
von Uli Hannemann

Die Affäre Rapunzel lässt einem das Wasser im Munde eintrocknen, obwohl die Marmelade doch schmackofatz lecker ist.

S chade, ich hab die Marmelade wirklich gern gegessen. Kann ich die jetzt nicht mehr kaufen? Denn auch Joseph Wilhelm, der Gründer der Bioaufstriche Rapunzel und Zwergenwiese, ist offensichtlich einer dieser argen Spinner: Corona ist nur ’ne Grippe, die Politiker verfolgen alle geheime Ziele, und das Impfen ist eh Quatsch. Wichtiger sei „eine gesunde und gleichzeitig nachhaltige Lebensweise“.

„Schlabbert Zwergenwiese – und das Virus ruft nach seiner Mami“, lautet die nicht ganz selbstlose Botschaft dahinter. Das würde ich eigentlich auch gern tun. Schließlich habe ich noch ein angebrochenes Glas. Was mache ich jetzt damit? Darf ich das noch aufessen? Vielleicht heimlich, das kriegt doch eh keiner mit. Steht ja nicht in der Zeitung oder so.

Außerdem kann doch, wer so gute Marmelade macht, kein schlechter Mensch sein, oder? Ich sehe ihn vor mir, wie er über seine Zwergenwiese flaniert und hie und da den kleinwüchsigen Mitarbeitern, die genau die richtige Größe haben, um die Beeren von den Himbeersträuchern zu pflücken, aufmunternd über die Köpfchen streicht, denn er weiß: Die Arbeit ist schwer.

Doch es sind eben die besten Beeren, die die beste Marmelade ergeben, und er braucht viele davon angesichts eines Fruchtgehalts von 70 Prozent. Da, wo andere Hersteller fast nur Farbstoff, Zucker, künstliche Aromen und Schweineknochenmark verarbeiten, ist bei ihm echtes deutsches Obst drin. Das ist er seinem Land, seinem Volk und seinem Gewissen schuldig.

Aber vielleicht stimmt die Hypothese vom guten Menschen und der guten Marmelade so wenig wie die von den bösen Menschen, die angeblich keine Lieder kennen. Ene, mene, muh – Xavier Naidoo. Oder dass, wer schläft, nicht sündigt. Holla, da kenne ich aber andere Geschichten! Und wer anderen eine Grube gräbt, fällt natürlich nicht selbst hinein – wie blöd wäre das denn! Apropos dumm. Es heißt ja auch: „Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“ – bruharhar – Attila Hildmann, Jürgen Klinsmann, Joseph Wilhelm …

Bei dem Namen Zwergenwiese war mir eh nie ganz wohl. Ich hab mich selbst mit der Vorstellung einer über der Zeit stehenden Märchenfigur getröstet – oder besser gesagt: rausgeredet. Dabei ist das am Ende auch nur ableistische Kackscheiße; er beutet halt auf seiner verseuchten Obstwiese ungeschützte Risikogruppen aus, für ihn nur vorerkrankter Abschaum, genauso wie der Rumäne, der im Feld nebenan den Spargel sticht und zieht.

Wo Kleinwüchsige und Ausländer an Covid-19 sterben, hat in seinen Worten das Virus als „Teil des biologischen Lebens auf unserer Erde nur seinen Beitrag zur Weiterentwicklung desselbigen geleistet“. Survival of the fittest Bioladenkunden.

Und ewig lockt die Biopampe mit ihrem Reiz des Verbotenen, den süßen Früchten der Sünde. Ich ziehe die Kapuze meines Hoodies tief über die Stirn und tauche den Löffel in das Glas mit der Stachelbeermarmelade. Hm, das ist gut.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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1 Kommentar

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  • Zitat: „Was mache ich jetzt damit? Darf ich das noch aufessen? Vielleicht heimlich, das kriegt doch eh keiner mit. Steht ja nicht in der Zeitung oder so.“

    Äh... wie bitte?

    Was hab ich denn dann grade gelesen? Ich hab gelesen, dass sich Uli Hannemann was traut. Er traut sich, Marmelade aufzuessen, die einer hat produzieren lassen, der angeblich ein A... äh, na jedenfalls kein guter Mensch ist. Weil er etwas gesagt hat, was anderen Leuten angeblich stinkt. Zumindest, wenn es ein gewisser J. W. äußert und nicht die selbst.

    Nein, kein gewisser Johann Wolfgang. Der wäre über jeden Zweifel erhaben. Schon, weil er eine sogenannte Geistesgröße ist und Geister ja angeblich nicht direkt einwirken können auf eine materielle Welt nach Ansicht ziemlich vieler Materialisten. Kein Geist also, aber doch so was wie eine Größe. Ein ganz gemeiner Kapitalist halt.

    Wir könnten uns nun trefflich streiten darüber, ob so etwas erlaubt sein sollte. (Nein, nicht das Profitmachen. Das muss angeblich sein. Das Marmelade aufessen.) Ich wüsste allerdings nicht so genau, auf welcher Grundlage.

    Uli Hannemann jedenfalls hat sich auf nur eine einzige Regel bezogen: „Tu, was die Mehrheit tut - oder halt die, die aus anderen Gründen etwas zu sagen haben. Anderenfalls: Lass dich nicht dabei erwischen!“ Das ist mir eindeutig zu wenig. Ich bin ja schließlich keine Ameise und auch kein Rabe.

    Ich bin ein Mensch. Ich diskutiere gar nicht erst mit Leuten, die keine persönlichen Gründe abgeben, wenn sie für sich das Privileg in Anspruch nehmen, Kants Kategorischen Imperativ zu umgehen. Ohne triftigen Grund keine mildernden Umstände. In solchen Fällen greift die Höchststrafe auch ohne vorherige Beweisaufnahme: Der Entzug jeglicher Autorität.

    Nehme ich damit ein Privileg für mich in Anspruch? Na sicher doch. Aber immerhin gebe ich an, wie ich genau dazu komme. Sollen von mir aus andere unterteilen. Ich bin, wie gesagt, kein schwarzer Rabe. Ich bin ein Mensch.